Konflikt per Gesetz – die geplante Novellierung des Kindschaftsrechts 2022
Warum eine grundlegende Reform nötig ist, was dieser entgegensteht und was es für ein gutes Gelingen braucht. Eine ganzheitliche Analyse.
Ausgangsbasis
Unsere Gesellschaft ist im Wandel: Mütter gehen immer häufiger arbeiten. Väter übernehmen mehr innerfamiliäre Arbeit und gehen immer häufiger in Karenz. Väter wollen nicht mehr nur Versorger sein. Immer mehr erkennen, dass “Alleinerziehen” sehr oft zu prekären und überfordernden Lebenssituationen führt und Kinder von der gleichteiligen Betreuung durch beide Elternteile profitieren. Dementsprechend wird die Doppelresidenz (Kind lebt zu annähernd gleichen Teilen bei Mutter und Vater) immer häufiger eingefordert. Besteht bei den Eltern jedoch Uneinigkeit, häufen sich die Konflikte bei Gericht und dauern immer länger. Die Unzufriedenheit auf allen Seiten wächst. Wie konnte es so weit kommen?
“Gesetz versus OGH und VGH” – oder Widersprüchlichkeiten auf höchster Ebene
Nachdem 2001 die gemeinsame Obsorge zwar gesetzlich verankert wurde, von Vätern aber nur mit Zustimmung der Mütter zu erlangen war, muss Österreich 2013 auch den Vätern das Recht einräumen, die gemeinsame Obsorge wenigstens vor Gericht beantragen zu können. Vor 2013 war dies nicht möglich. Österreich war – wie Deutschland – kurz zuvor vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen des Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot verurteilt worden. Österreich wurde damit gezwungen, die bis dahin geltende Gesetzeslage zu ändern.
Österreich kam dieser Aufforderung mit dem KindNamRÄG 2013 zwar nach, verknüpfte die Gesetzesänderung jedoch mit der Notwendigkeit der Festlegung eines hauptsächlichen Aufenthaltes – dem uneingeschränkten Aufenthaltsbestimmungsrecht (welches auch bei der gemeinsamen Obsorge zu rund 90 Prozent bei den Müttern ist). De facto wurde es Müttern trotz gemeinsamer Obsorge erlaubt, den Aufenthalt des Kindes – ungeachtet der Meinung und des Willens des Vaters – jederzeit in ein anderes Bundesland oder einen anderen Staat zu verlegen.
Auch dieser Passus musste aufgrund eines Entscheids des Obersten Gerichtshofes (OGH) wieder eingeschränkt werden: demnach musste bei der Wohnsitzverlegung des Kindes sehr wohl berücksichtigt werden, dass das Kind ein Recht auf regelmäßigen Kontakt zu beiden Elternteilen haben kann. Es musste überdies berücksichtigt werden, dass auch das Recht des verbleibenden Elternteiles auf Kontakt zum Kind nicht willkürlich eingeschränkt werden darf. Zudem wurde festgestellt, dass der wegziehende Elternteil eine Informationspflicht über wesentliche – das Kind betreffende – Veränderungen der Lebensumstände hat. Werden diese Punkte übergangen, wird ein weiterer Grundsatz verletzt: jener der Wohlverhaltensregel.
2015, also bereits zwei Jahre nach dem das KindNamRÄG2013 in Kraft trat, gab es eine Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VGH), die dem Gebot des hauptsächlichen Aufenthaltes diametral entgegenstand. Die Doppelresidenz wurde per Erkenntnis nicht nur plötzlich erlaubt, der VGH ging sogar soweit, ein Abgehen von der Doppelresidenz unter folgenden vier Voraussetzungen als kindeswohlgefährdend zu interpretieren:
- wenn die Eltern nach der Trennung nahe Wohnsitze haben,
- wenn sich beide Elternteile bereits vor der Trennung annähernd gleich ums Kind gekümmert haben,
- wenn die Kommunikation in ausreichendem Maße gelingt und
- wenn ein Elternteil durch die Doppelresidenz in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät.
Ungeachtet dessen entschied sich der VGH, den hauptsächlichen Aufenthalt auch weiterhin aufrechtzuerhalten. Damit sollte sichergestellt bleiben, dass alle Transferleistungen nur an einen Elternteil bezahlt werden müssen (de facto also an die Mütter). Tatsächlich wäre bei einer Abschaffung des hauptsächlichen Aufenthaltes ein neues Meldegesetz und damit ein ganzer Rattenschwanz an Novellierungen auf anderer Ebene nötig gewesen, weshalb man sich zu diesem widersprüchlichen Konstrukt hinreißen ließ.
Einhergehend mit diesen Widersprüchlichkeiten stieg in den letzten Jahren auch die Dauer strittiger Verfahren auf durchschnittlich zwei Jahre. Kinder und Eltern sind mittlerweile derart langen Verfahren ausgesetzt, weil das Rechtssystem mit hochstrittigen Verfahren völlig überfordert ist. Kinder werden ihrer Kindheit beraubt. Prozesskosten in Höhe von 20.000 bis 30.000 Euro sind keine Seltenheit.
Gewaltschutzeinrichtungen beklagen zu Recht:
- dass Kinder ständig in der Ungewissheit leben müssen, ob sie einem Gewalttäter/einer Gewalttäterin neuerlich begegnen müssen und dass sie damit der Gefahr einer Retraumatisierung ausgesetzt werden,
- dass Mütter, die Gewalt ausgesetzt waren, nicht zur Ruhe kommen können und
- dass Männer sich häufig aufgrund ihrer besseren finanziellen Ressourcen bessere Rechtsanwälte leisten können und dadurch bessere Chancen hätten.
Auf der anderen Seite beklagen Väter, ebenso zu Recht:
- dass sie zu ihren Kindern nur eingeschränkten oder gar keinen Kontakt haben
und dass sie
- trotz langjähriger, oft gleichteiliger Betreuung der Kinder während der aufrechten Beziehung zur Kindesmutter,
- trotz Erziehungseignung und
- trotz Empfehlung durch Sachverständige für ausgedehnte Kontakte bis hin zur Doppelresidenz
immer wieder miterleben müssen, wie ihre Kinder ihnen sukzessive entfremdet werden.
Beide Seiten beklagen, dass Gutachter:innen einseitige Berichte schreiben, dass Richter:innen einseitige Beschlüsse fällen und dass dem Paradigma der Einvernehmlichkeit ein zu großer Stellenwert beigemessen wird. Beide Seiten haben Recht. Es gibt dafür viele Gründe. Die widersprüchliche Gesetzeslage sorgt nicht nur bei Eltern für Orientierungslosigkeit, sondern auch bei den verfahrensbeteiligten Experten: bei Berater:innen, Sachverständigen und Richter:innen. Die Rechtslage lässt viel Spielraum für Interpretationen; die persönliche Haltung der beteiligten Professionist:innen wird immer wieder zum Maß der Dinge. Viele Richter:innen treffen aus Angst vor dem Rekurs keine Entscheidung und suchen Hilfe bei Expert:innen. Eine Begutachtung folgt der nächsten – angefangen von Stellungnahmen des Jugendamtes, über die Familiengerichtshilfe bis hin zu gerichtlich beeideten Sachverständigen. Das System ist mit der Thematik überfordert, die Ausbildung lässt in allen Berufsgruppen zu wünschen übrig. Statt einem Miteinander gibt es ein Neben- oder gar ein Gegeneinander. Kooperationen verschiedener Berufsgruppen wie im Bereich des Opferschutzes oder in der Jugendwohlfahrt sucht man vergeblich.
Aus feministischer Perspektive, aber auch aus Perspektive anderer Meinungsbildner:innen (wie z.B. Moment.at) werden für die Situation häufig nachfolgende Gründe genannt (alle beziehen sich auf das KindNamRÄG2013):
Zum einen wird das Antragsrecht des nicht hauptsächlich betreuenden Elternteils (in der Mehrzahl Väter) auf die gemeinsame Obsorge – auch gegen den Willen des anderen Elternteiles – genannt.
Weiters wird die 2013 geschaffene Familiengerichtshilfe kritisiert sowie auch die Möglichkeit der verpflichtenden Beratung. Sowohl für Beratung als auch für Mediation wird Freiwilligkeit als Voraussetzung betrachtet. Eine Verpflichtung stehe im krassen Widerspruch und könne a priori nicht funktionieren, so der Tenor.
Der Familiengerichtshilfe wird teilweise Parteilichkeit und Inkompetenz vorgeworfen. Die Fachkräfte seien nicht entsprechend ausgebildet, fachliche Standards seien nicht entsprechend vorhanden, eine klinisch-diagnostische Ausbildung sei keine Voraussetzung für den Beruf. Des Weiteren würden Beweismittel von Fall zu Fall unterschiedlich erhoben und den Müttern würden ihre Erzählungen von Gewalthandlungen nicht geglaubt. Krasse Fehlentscheidungen seien die Folge.
Beim Thema Antragsrecht auf die gemeinsame Obsorge gegen den Willen des anderen Elternteils wird unterstellt, dass es den Vätern nur um ihre Rechte ginge, dass sie aber ihre Pflichten vernachlässigen würden und dass Einigungen nicht erzwungen werden könnten. Gäbe es kein Einvernehmen zwischen den Eltern, dürfe es demnach auch kein gemeinsames Vertretungsrecht (gemeinsame Obsorge) geben.
Die Ausdehnung des Antragsrechtes auf die gemeinsame elterliche Verantwortung (noch dazu als Automatismus ab Geburt wie es die Novellierung im Rahmen des Familienrechtsreform 2022 vorsieht), würde zudem zu einer weiteren Verschärfung der Konflikte führen und Frauenrechte massiv untergraben.
Sehen wir uns diese Punkte etwas genauer an.
Punkt 1: Die gemeinsame Obsorge
2010 wurde Österreich vom EGMR im Fall Sporer wegen Verletzung des Diskriminierungsverbotes verurteilt. Ein Vater klagte die Republik Österreich, weil er gegen den Willen der Mutter kein Recht hatte, die gemeinsame Obsorge auch nur zu beantragen. Ohne Antrag war eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des väterlichen Willens gar nicht möglich. Mütter standen in der Obsorgefrage über dem Gesetz. 2013 wurde dieser Missstand behoben. Prominente Frauen, wie die verstorbene Nationalratspräsidentin Barbara Prammer oder die Journalistin Elfriede Hammerl wehrten sich damals vehement gegen die Reparatur dieses gesetzlichen Missstands – der Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zum Trotz.
Beleuchten wir dieses Thema aus wissenschaftlicher Perspektive: 2001 wurde in Deutschland die „Proksch-Studie“ veröffentlicht. Auftraggeber war die rot-grüne Bundesregierung, welche 1998 das automatische gemeinsame Sorgerecht nach der Scheidung eingeführt hatte und die Auswirkungen auf die Familien bzw. das Kindeswohl in einer Begleitstudie evaluieren ließ. Das Ergebnis der Proksch-Studie war eindeutig:
- die Konflikte reduzierten sich,
- das gegenseitige Vertrauen nahm zu,
- die Ängste wurden weniger und
- die Kooperation zwischen den Eltern wurde gestärkt.
Österreich beschloss 2001 ebenfalls ein neues Kindschaftsrecht, berücksichtigte aber die Erkenntnisse aus Deutschland nicht. Das ist bis heute noch so.
Betrachtet man die Studienergebnisse der Proksch-Studie nüchtern, erscheinen die Ergebnisse durchaus nachvollziehbar: Ein Machtgleichgewicht beider Eltern vor dem Gesetz führt zu einem Ende der Machtkämpfe zwischen Müttern und Vätern. In Österreich muss die gemeinsame Obsorge dennoch bis heute – je nach Prozesspartei – erkämpft oder verhindert werden. Beide Eltern haben deshalb Angst davor, benachteiligt zu werden – entweder weil die gemeinsame Obsorge nicht gewährt wird (meist Väter), oder weil die alleinige Obsorge nicht erhalten werden kann (meist Mütter). Deshalb werden alle Geschütze aufgeboten, um die gemeinsame Obsorge entweder abzuwehren (in der Regel Mütter) oder sie zu erlangen (in der Regel Väter).
Indes führte die automatische gemeinsame Obsorge in Deutschland dazu, dass diese Art von Streit gar nicht erst begonnen wurde. Die Mütter bemerkten sehr schnell, dass ihnen durch die gemeinsame Obsorge nichts verloren ging. Ganz im Gegenteil: die Väter zeigten sich kooperativer, fuhren keine schweren Geschütze auf, sie traten in Dialog mit den Müttern und kümmern sich deutlich mehr um die gemeinsamen Kinder.
Auch aus der Sicht der Väter leuchtet das Ergebnis ein. Zuvor wurde den Vätern das Sorgerecht mit der Scheidung einfach entzogen, egal wie viel sie sich zuvor um ihre Kinder gekümmert hatten. Vätern, die in Konflikt mit den Kindesmüttern standen, wurde kollektiv das Misstrauen ausgesprochen. Aus historischer Sicht mag dies nachvollziehbar sein. Bis in die 1970er-Jahre hatten im Falle von Trennungen die Väter automatisch die Vormundschaft über die Kinder. Die gesetzliche Lage versetzte die Männer damals gegenüber den Müttern in eine durch nichts zu rechtfertigende Machtposition. Mit den gesetzlichen Änderungen der 1970er-Jahre wurden diese Machtstrukturen jedoch nicht repariert, sie wurden in ihr Gegenteil verkehrt.
Das Ergebnis war, dass der Konflikt sich nun mit umgekehrten Vorzeichen fortsetzte: So wie sich Mütter in den 70er-Jahren gegen ihre (gesetzlich gestützte) Abhängigkeit von ihren Männern und gegen die Verletzung ihrer Integrität zu Recht zur Wehr setzten, so tun es heute jene Väter, welche die Strapazen derartiger Prozesse auf sich nehmen, um Verantwortung für ihre Kinder zu übernehmen. Trennungen blieben im Fall gemeinsamer Kinder eine Kampfzone – und sie sind es in Österreich bis heute.
Mit der Beibehaltung des gemeinsamen Sorgerechts nach der Scheidung (in Deutschland 1998, in Österreich benötigt es die Zustimmung beider Elternteile) waren Väter nicht mehr gezwungen, sich zu beweisen. Nachdem ihnen die Mütter das Sorgerecht nicht mehr (aus nichtigen Gründen) vorenthalten konnten, war es auch wesentlich leichter, kommunikativ wieder auf die Mütter zuzugehen. Die Situation entspannte sich und brachte Rechtssicherheit für alle Beteiligten.
In Österreich wird trotz dieser Erkenntnisse von feministischer Seite die sogenannte automatische gemeinsame Obsorge immer noch als Schreckgespenst an die Wand gemalt. De facto aber verlieren Väter mit der Scheidung derzeit an Rechtssicherheit. Lehnt eine Mutter die Fortsetzung der gemeinsamen Obsorge nach der Scheidung ab, kann der Vater sich nicht mehr sicher sein, die rechtliche Vertretung für das Kind auch weiterhin behalten zu können. Väter stehen unter Generalverdacht, ihre Rechte missbräuchlich zu verwenden. Sie werden damit nicht nur von allen wichtigen, ihre Kinder betreffenden Lebensentscheidungen ausgeschlossen, sondern auch von alltäglichen, schulischen Belangen. In derartigen Situationen erhalten Väter – aus nicht nachvollziehbaren, meist nichtigen Gründen – in der Schule keinerlei Auskunft mehr über ihre Kinder. In diesem Zusammenhang wird gerne an die Situation vor den Gleichstellungsgesetzen in den 1970er Jahren erinnert. Dass seither ein halbes Jahrhundert ins Land gezogen ist, wird geflissentlich unterschlagen.
Ab den 1970er Jahren bis 2013 waren Mütter in Österreich im Grunde über das Gesetz gestellt. Ein Antrag auf gemeinsame Obsorge durch den Vater wurde vom Gericht erst überprüft, wenn die Mutter die Erlaubnis dazu gegeben hatte. Diese rechtlichen Verhältnisse sind Ausdruck zutiefst patriarchaler gesellschaftlicher Strukturen: die Alleinzuständigkeit von Frauen für die Kinder wird hier gesetzlich festgeschrieben – quasi als gesetzlicher Auftrag zur Mutterschaft.
Interessanterweise wird das Festhalten an diesem Zustand heute als feministische Agenda betrachtet; jegliches Abgehen davon wird als frauenrechtlicher Rückschritt konstatiert. Dabei wird übersehen, dass soviel Bestimmungsrecht mit einer entsprechenden gesellschaftlichen Erwartungshaltung und Verantwortungsübertragung einhergeht. Werden Mütter als Garant für die Sicherheit und den Schutz dem Kind gegenüber wahrgenommen, geht damit implizit ein gesellschaftlicher Auftrag einher: die Mütter sind letztlich allein zuständig für die Kinder – Mutterschaft per Gesetz.
Frauenorganisationen, die dieses Konzept verteidigen, stärken damit paradoxerweise patriarchale Strukturen und wirken einer Gleichstellung entgegen.
Ein der Gleichstellung verpflichtetes Gesetz müsste die Fortsetzung der gemeinsamen Obsorge nach der Scheidung/Trennung und die rechtliche Gleichstellung für alle Kinder festlegen (ob die Eltern nun verheiratet sind oder nicht). Väter sollten nicht darum kämpfen müssen, sich in das Alltagsleben der Kinder einzubringen – etwa wenn sie sich mit Lehrer:innen über schulische Belange ihrer Kinder unterhalten wollen.
Nur wenn tatsächlich Gefahr im Verzug ist, sollte es möglich sein, von der gemeinsamen Obsorge abzugehen.
Punkt 2: Die verpflichtende Beratung
Die verpflichtende Beratung wird von Richter:innen immer wieder als Weg zu einer gütlichen Einigung angeordnet. Dies gelingt auch immer wieder – vorausgesetzt, beide Eltern bringen die Bereitschaft dazu mit. Fehlt diese Bereitschaft bei nur einem der beiden Beteiligten, kommt es immer wieder dazu, dass beide – oder auch nur ein Elternteil – den Beratungsprozess einfach boykottieren. Prozesstaktische, meist egozentrische und destruktive Verhaltensweisen bestimmen den Verlauf. Sich auf den anderen und dessen Sichtweise einzulassen und gegenseitiges Verständnis sind von Anbeginn kein Ziel. Beratungsprozesse werden unter derartigen Umständen über viele, zermürbende Stunden fortgesetzt und letztlich dann abgebrochen – entweder vom destruktiven oder vom enttäuschten Elternteil. Das Gericht erfährt lediglich, ob die Beratung erfolgreich war oder eben nicht, nicht aber, welcher Elternteil welche Rolle im Beratungsprozess spielte. Wo liegt hier das Problem?
Blicken wir in andere Länder, wie Deutschland (Cochemer Modell) oder Kanada, wo diese Art der Lösungsfindung schon seit längerem gut funktioniert. Auch dort werden, ähnlich wie in Österreich, Beratungen und Mediationen angeordnet. Im Unterschied zu Österreich erfährt das Gericht aber vom Ablauf des Beratungsprozesses. Verhält sich ein Elternteil destruktiv oder verweigert die Beratung aus nicht nachvollziehbaren bzw. prozesstaktischen Gründen ganz, interpretiert das Gericht dies als eingeschränkte Bereitschaft elterliche Verantwortung entsprechend zu übernehmen – was Konsequenzen nach sich zieht. Der destruktive Elternteil muss damit rechnen, dass er in Folge im Verhältnis zum Kind entsprechende Nachteile erfährt.
Zur Sicherheit noch einmal die Klarstellung: Dieser Weg ist natürlich nicht gangbar, wenn die Begegnung zu einer Retraumatisierung führen würde. Und auch darauf sei verwiesen: der Großteil der strittigen Trennungseltern hat vorher keine Gewalt ausgeübt, ist aber verletzt und gekränkt und benötigt professionelle Begleitung, um wieder miteinander Verantwortung fürs gemeinsame Kind wahrnehmen zu können.
Demgegenüber stehen hochstrittige Eltern, deren Kämpfe um das Sorge- und/oder Kontaktrecht sich oft über Jahre ziehen. Auch in diesen Fällen benötigt es eine strukturierte Vorgehensweise. Allerdings ist bei hochstrittigen Fällen Beratung nicht mehr das Mittel der Wahl. Erhobene Vorwürfe müssen abgeklärt werden. Liegt eine unmittelbare Gefährdung vor, muss darauf reagiert werden. Im anderen Fall geht es darum zu definieren, ob es sich um einen symmetrischen oder asymmetrischen Konflikt handelt. Bei einem asymmetrischen Konflikt muss herausgefunden werden, ob es einen prozesstaktischen oder psychopathologischen Hintergrund gibt. In letzterem Fall benötigt es eine entsprechende Abklärung. In beiden Fällen muss es für den destruktiven Elternteil klare Stoppschilder geben.
Diese Differenzierung zwischen strittigen und hochstrittigen Eltern findet momentan nicht statt, ebenso hat der Abbruch von Beratungs- oder Mediationsprozessen kaum Konsequenzen. Das hat zur Folge, dass so mancher strittige Fall zu einem hochstrittigen wird, sich die Fronten verhärten, Kontakte im Laufe der Zeit reduziert oder überhaupt eingestellt werden, Verfahren unendlich dauern und Kinder wie Eltern darunter leiden.
Punkt 3: Die Familiengerichtshilfe, erweitert um den Punkt entscheidungsschwacher Richter:innen
Die Familiengerichtshilfe (FGH) muss differenziert betrachtet werden.
Zum einen ist die FGH durchaus ein Fortschritt. Bis dahin wurden erste Stellungnahmen in der Regel durch das Jugendamt durchgeführt. Der Fokus der Jugendwohlfahrt aber liegt in der Gefährdungsabklärung. Für die komplexe Trennungs- und Scheidungsdynamik gibt es meist weder eine spezifische Ausbildung noch den entsprechenden Erfahrungshintergrund. Mit der FGH wurde eine Fachstelle etabliert, die alleine durch den Fokus auf die Thematik einen wichtigen Fortschritt darstellt. Die Standards hoben sich deutlich von denen der Jugendwohlfahrt ab, die Stellungnahmen wurden in der Regel ausgewogener und nachvollziehbarer. Trotzdem finden sich auch hier immer wieder oben beschriebene Unfachlichkeiten und Parteilichkeiten – einmal in die eine, dann in die andere Richtung.
Zum anderen liegt der Haken bei der FGH in deren Grundkonstellation. Wie der Name bereits sagt, liegt der Fokus darin, dem Gericht zu helfen, nicht aber primär den Eltern bzw. den Familien. Dementsprechend liegt der Schwerpunkt auf der Erhebung und der Stellungnahme zu Obsorge- und Kontaktregelungsfragen, um Richter:innen einen Entscheidungsgrundlage zu geben. Hier gibt es einen entscheidenden Haken: Was, wenn sich ein Elternteil gegen die Empfehlungen der FGH stellt?
In der Regel gäbe es zwei Möglichkeiten damit umzugehen. Entweder vertrauen Richter:innen der Stellungnahme der FGH und der Beschluss wird auch gegen den Willen eines Elternteils durchgesetzt. Oder aber es wird die Möglichkeit ins Auge gefasst, dass eine Beratung auch gegen den Willen eines Elternteils die Fronten aufweichen und zu einer Einigung führen könnte. Eine Beratung, auch bei der FGH, könnte dementsprechend verordnet werden.
Was aber, wenn sich ein Elternteil aus prozesstaktischen Gründen dem Beratungsprozess auch bei der FGH verweigert oder sich währenddessen so destruktiv verhält, dass eine Einigung verhindert wird?
Selbst wenn Stellungnahmen solide zustande gekommen sind, müssen die darin enthaltenen Empfehlungen erst umgesetzt werden. In vielen Fällen zeigen sich Richter:innen mit der Situation völlig überfordert. Statt entsprechend Autorität an den Tag zu legen, Sanktionen in Aussicht zu stellen oder einen Beratungsprozess mit eben diesen zu verknüpfen, werden immer weitere Gutachten in Auftrag gegeben. Die Folgen sind immer dieselben: lange Verfahren mit Unzufriedenheiten auf allen Seiten.
Mit dem Hintergrund meiner jahrzehntelangen Erfahrung im Jugendamt und meiner Beratungstätigkeit im Zusammenhang mit der Doppelresidenz aber auch mit sehr vielen Vätern, die um Kontakt und Recht gegenüber ihren Kindern kämpfen, kann ich viele Kritikpunkte, die von Frauenorganisationen vorgetragen werden, nur bestätigen: Parteilichkeit, Willkür, persönliche Haltungen, Unfachlichkeit, Entscheidungsschwächen u.v.a.m. Genau diese Missstände und Schwächen des Systems finden sich allerdings auch im Erfahrungsschatz vieler Väter.
Unzählige Väter berichten, von ihren Kindern getrennt zu sein, obwohl ihnen kein Fehlverhalten vorzuwerfen ist und obwohl ihnen attestiert wird, voll erziehungsfähig zu sein. Unzählige Väter berichten, dass ihre Kontakte zum Kind auf ein nicht zu rechtfertigendes Minimum eingeschränkt werden – teilweise damit begründet, dass “Qualität im Umgang mit Kindern doch wichtiger sei als Quantität.”
Sehr oft wird dem Kindeswohl damit nicht Rechnung getragen. Es ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen, dass im Regelfall ein ausgeglichenes Betreuungsverhältnis dem Kindeswohl dienlicher ist als einseitige Regelungen. Wenn Mütter sich aus unterschiedlichen Gründen gegen ein ausgeglichenes Betreuungsverhältnis stellen, stehen Richter:innen dem oft scheinbar ohnmächtig gegenüber. Oft hört man die Formel: „Ein Beschluss gegen den Willen der Mutter landet letztlich immer auf dem Rücken der Kinder. “ Dieser Satz dämonisiert nicht nur die Mütter und überhöht deren Einfluss, letztlich lähmt er den ganzen Apparat. Dass gegen den Willen der Mutter nicht gehandelt wird, ist in hoch strittigen Fällen oft der Anfang vom Ende der väterlichen Beziehung zum Kind. Dass die väterliche Beziehung in so vielen Fällen derart leichtfertig preisgegeben wird, zeugt von einer Gesellschaft, die der Beziehung und der Bindung von Kindern zu ihren Vätern wenig Wert beimisst.
Es wird dabei ignoriert,
- dass sich Väter in den letzten Jahrzehnten zunehmend um eine engere Beziehung zu ihren Kindern bemühen – trotz der meist widrigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und
- dass der Verlust dieser zunehmend stärker werdenden Beziehung zwischen Vätern und Kindern auf beiden Seiten traumatische Folgen hat.
Patriarchale Denkmuster wie “Frauen sind für die Kinderbetreuung zuständig und Väter für deren Versorgung” sind noch immer weit verbreitet. Richter:innen, Familiengerichtshilfe und andere Experten spiegeln diese Misere – als Teil dieser Gesellschaft – auf eine sehr bedauerliche Weise wider.
Eine grundlegende Familienrechtsreform ist dringend nötig. Es gibt viele Missstände, die von beiden Seiten zu Recht beklagt werden. Wenn wir eine Familienrechtsreform wollen, die allen Familien das Zusammenleben erleichtert und die zuallererst den Kindern dient, dann muss unsere Gesellschaft sich in einem breiten Diskurs mit den folgenden Fragen auseinandersetzen:
- Wodurch bleibt das Wohl des Kindes im Falle der Trennung der Eltern am Besten gewahrt?
- Wie können Mütter aus der Doppelbelastung als Alleinerzieherinnen geholt werden?
- Wie können Väter darin unterstützt werden, die Verantwortung für die Kinder gleichberechtigt mit den Müttern wahrzunehmen – bereits während aufrechter Beziehung, aber auch nach (strittigen) Trennungen?
- Welche Schritte fördern den Weg hin zu einer echten Gleichberechtigung?
- Was muss getan werden, um den Kindern eine Beziehungskontinuität zu beiden Elternteilen zu ermöglichen?
- Soll das Paradigma der wirtschaftlichen Absicherung eines Elternteiles Priorität gegenüber kontinuierlichen Kontakten der Kinder zu beiden Elternteilen haben?
- Wie kann die wirtschaftliche Absicherung beider Elternteile gelingen?
- Wie können Verfahren in strittigen Fällen beschleunigt werden?
- Wie kann der Konfliktdynamik in strittigen Trennungen sowohl auf rechtlicher als auch auf der Verfahrensebene effizient entgegengewirkt werden?
- Wie geht man mit hochkonflikthaften Elternteilen um?
Um diese Fragen zu beantworten, bedarf es eines breit angelegten gesellschaftspolitischen Diskurses. Es braucht auch Medien und Politiker, die sich dem Thema öffnen. Und es braucht einen Schulterschluss beider Geschlechter.
Wird man sich der gesellschaftspolitischen Dimension dieses Diskurses bewusst, wird ersichtlich, mit wie weitreichenden Fragen wir uns befassen müssen.
- Was ist gut für unsere Kinder?
- Wohin wollen wir als Gesellschaft gehen?
- Was unterstützt den Emanzipationsprozess?
- Wie ernst nehmen wir Gleichbehandlung?
- Wie wollen wir Familie leben?
WIR VÄTER sind bereit, uns damit auseinanderzusetzen. Selbstkritisch – aber auch fordernd. Wir sind überzeugt, dass wir das Problem letztlich nur lösen werden, wenn wir zu einem gemeinsamen Dialog finden.
Für das Team WIR VÄTER
Anton Pototschnig
Dipl. Sozialarbeiter und Familiencoach
Obmann von wir-vaeter.at & doppelresidenz.at