Macht sich der ORF gemein mit…?
Am 6.12.2022 berichtete der ORF in der Sendung „Report“ über die von der Regierung angestrebte Novellierung des Kindschaftsrechts. Susanne Schnabl moderierte den Beitrag von Sabina Riedl u.a. mit folgenden Worten an:
„…eine andere heikle Frage beschäftigt uns jetzt, die viele Mütter, Väter, aber vor allem auch Kinder trifft, denn kaum ein Gesetz wie das Familienrecht und insbesondere das Kindschaftsrecht hat so weitreichende alltägliche Folgen.“
Ein gesellschaftlich höchst sensibles Thema also, welches journalistische Sorgfalt und Neutralität in der Berichterstattung erfordert. Doch woran macht man dies fest? Armin Wolf thematisiert diese Fragestellung in seinem Blog mit dem Titel “Womit darf ein Journalist sich gemein machen?” (https://www.arminwolf.at/2018/12/08/womit-darf-sich-ein-journalist-gemein-machen/)
Er zitiert hierfür den legendären Tagesthemen Moderator Hanns Joachim (Hajo) Friedrichs:
„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache“
– um ihm anschließend in Bezug auf letztere Aussage doch zu widersprechen. Zu diesem Zweck zitiert er ARD-Journalistin Anja Reschke, die anlässlich des an sie verliehenen renommierten Fernsehpreises die Stellungnahme für “die gute Sache” verteidigt. Aus ihrer Sicht müsse sich guter Journalismus gerade eben mit einer guten Sache gemein machen, nämlich mit „unserer Verfassung“. Gerade eben der öffentlich-rechtliche Sender habe von den Alliierten nach dem Krieg den Auftrag bekommen, die „Teilhabe an der freien demokratischen Meinungsbildung zu gewährleisten.“
Reschke spezifiziert in ihrer Rede ihre Definition von Teilhabe: „Wo politische Gruppierungen mit Kampagnen, verbalen Entgleisungen und bewussten Grenzüberschreitungen versuchen, unser Grundgesetz anzugreifen….da müssen wir uns mit dem Kampf für das Grundgesetz und die Menschenwürde gemein machen.“
Armin Wolf stimmt dem grundsätzlich zu, verweist aber ergänzend auf seine Aussage auf Twitter:
„Ich bin für Menschenrechte und dagegen, Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Für Fakten und gegen Unwahrheiten im demokratischen Diskurs….“
Nun ist unsere Ansicht dazu nicht wirklich relevant, nachdem es aber um Haltungen geht, möchten wir zumindest anfügen, dass wir Reschke und Wolf zustimmen.
Überprüfen wir, ob Schnabl und Riedl obigen Haltungen im Rahmen der Sendung “Report” über die von der Regierung angestrebte Novellierung des Kindschaftsrechts gerecht wurden und stellen wir konkret folgende Fragen in den Raum:
- Haben Schnabl und Riedl mit ihrem Beitrag die Teilhabe an der freien demokratischen Meinungsbildung gewährleistet?
- Verteidigen sie die Menschenwürde, indem sie politischen Gruppierungen und deren verbalen Entgleisungen und bewussten Grenzüberschreitungen die Stirn bieten?
- Haben Schnabl und Riedl Fakten berichtet?
- Diente der Beitrag dazu, in einer heiklen Sache den Blickwinkeln von Müttern, Vätern und vor allem Kindern gerecht zu werden – oder diente er eher doch dazu, Menschen gegeneinander aufzuhetzen und Fronten zu verhärten?
- Haben sie sich also im Sinne Reschke und Wolf mit einer „guten Sache gemein gemacht?“
Schauen wir uns den Report-Bericht genauer an:
Susanne Schnabl stellt zur Einleitung des Beitrages die Frage ins Zentrum, welcher Elternteil die Obsorge nach einer Scheidung oder Trennung bekommen solle, denn diese Frage soll im neuen Kindschaftsrecht neu geregelt werden.
Tatsächlich geht es im Beitrag zwar um die Novellierung des Kindschaftsrechts, das Thema der Obsorge aber wird mit keinem einzigen Wort mehr erwähnt. Stattdessen geht es um Doppelresidenz, Unterhaltszahlungen und Gewalt.
Die Sachverständige Völkl-Kernstock weist darauf hin, dass aus ihrer Sicht oft Elternrechte im Vordergrund stünden und Kinder dabei oft untergehen würden bzw. die Leidtragenden wären.
Der ORF verknüpft das Resümee der Sachverständigen unmittelbar mit der Frage nach dem zukünftigen Wohnsitz des Kindes. Lebt das Kind also nach der Trennung bei der Mama oder beim Papa. Der Beitrag führt weiter aus: „Das Doppelresidenzmodell sieht vor, dass das Kind zwischen zwei Haushalten pendelt, …“ und mündet in die Frage „Aber ist das auch im Sinne der Kinder?“.
Hier ergreift der ORF klar Partei für die Gegner:innen des Modells, indem die Doppelresidenz zu einer „scheinbar salomonischen Lösung“ erklärt wird. Diese Feststellung fußt nicht auf der Aussage der Sachverständigen, denn Frau Völkl-Kernstock ist diesbezüglich geteilter Meinung. „Einmal ja, einmal nein.“ Als “schwierig” bezeichnet sie das Modell vor allem dann, wenn zwischen den Eltern eine hohe Strittigkeit vorherrsche. Tatsächlich weist die Feststellung der „scheinbar salomonischen Lösung“ in Richtung der Eltern, die in erster Linie an sich, aber nicht ans Kind denken würden. Ein Vorwurf, der den Befürworter:innen der Doppelresidenz oft gemacht wird, geknüpft an die Unterstellung, dass die Kinder damit zu den Leidtragenden gemacht würden.
Zur Meinungsbildnerin jedoch erhebt die Sendung offensichtlich die Rechtsanwältin Helene Klaar.
Um deren Worten Gewicht zu verleihen, wird sie als renommierte Scheidungsanwältin und Kämpferin der Frauen vor Gericht vorgestellt, mit dem Zusatz, dass sie von Anfang an gegen die Doppelresidenz war, weil diese aus Sicht von Frau Klaar die Frauen benachteilige. Helene Klaars explizit ablehnende Meinung gegenüber der Doppelresidenz wird so zum eigentlichen Maßstab. Von den Sendungs-Macherinnen hätte man erwarten können, dass zum Ausgleich eine ebenso renommierte Persönlichkeit sich pro Doppelresidenz hätte positionieren können. Dazu ist es nicht unwichtig zu erwähnen, dass die Doppelresidenz in den meisten europäischen Ländern längst gesetzlich verankert ist. Helene Klaar bekommt ungeachtet dessen den in der Sendung mit Abstand größten Redeanteil. Damit wird dem Anliegen der Gegner:innen der Doppelresidenz implizit ein überproportionales Gewicht verliehen.
Susanne Schnabl hat die Sendung bereits damit eingeleitet, dass es sich um ein heikles Thema handle, nämlich um ein Gesetz, welches wie kaum ein anderes weitreichende Folgen für das alltägliche Leben von Müttern, Vätern und besonders Kindern hat.
Wurde bei einem in der Tat wichtigen, folgenreichen Thema die Ausgewogenheit der Standpunkte erfüllt? Schauen wir uns die Aussagen von Helene Klaar genauer an.
„Wenn das Kind schon dadurch betroffen wird, dass sich die Eltern trennen, dann soll es nicht auch noch Wohnung wechseln, woanders schlafen, ähm mit dem Vater und seiner neuen Freundin gemeinsam in einem Bett schlafen, oder in einer Badewanne baden, weil das haben die Kinder gar nicht so gern, wie die dazugehörigen Väter.“
Die Rollen von Tätern und Opfern werden hier in aller Eindeutigkeit zugewiesen: Väter werden nicht nur als Schuldige für die Scheidung identifiziert – Stichwort “neue Freundin”. Vätern genügt es zudem auch nicht, mit dieser alleine ins Bett zu gehen, nein, Väter schlafen gleich mit beiden in einem Bett oder gehen mit beiden in die Badewanne. Beides hätten laut Klaar Väter zwar gerne, nicht aber Kinder. Klaar verweist dabei nicht auf Erfahrungen mit einem spezifischen Vater, sondern trifft hier eine Verallgemeinerung, und zwar eine eindeutig sexistische Verallgemeinerung: vom Ehebrecher zum Pädophilen und die neue Freundin gleich als Komplizin dazu.
Klaar zeigt sich zudem besorgt um die Mütter, denen nicht zugemutet werden sollte, von einem Tag auf den anderen gleich doppelt so viel zu arbeiten.
Nun könnte man erwarten, dass der ORF diese Problematik aufgreift und dem „Väterrechtler“ Pototschnig die Gelegenheit gibt zu beschreiben, dass „Wir Väter“ gerade für die Zeit des Übergangs eine Ausgleichszahlung vorschlagen, um Müttern diesen Übergang leichter zu machen. Diese Aussage wurde zwar getätigt, fiel aber offenbar der Schere zum Opfer.
Herrn Pototschnig wird im Beitrag zudem zugeschrieben, selbst durch ein jahrelanges strittiges Scheidungsverfahren gegangen zu sein, in dem er ums Besuchsrecht gekämpft habe.
Tatsächlich war er nie verheiratet und hatte demnach weder ein jahrelanges Scheidungsverfahren noch hatte er jahrelang um das Besuchsrecht seiner Kinder gestritten. Aber warum dann diese Falschaussage? Die Vermutung darf in den Raum gestellt werden, dass er als ein von jahrelangem Kampf betroffener, emotionalisierter und lediglich an Eigeninteressen orientierter Vater dargestellt werden sollte. Nicht unbedingt vertrauenserweckende Eigenschaften, mit entsprechender Wirkung beim Zuschauer.
Dass Anton Pototschnig seit über 30 Jahren beruflich in der Jugendwohlfahrt tätig ist und mehrmals als Experte vom BMJ zur Erarbeitung von Gesetzesentwürfen im Rahmen des Kindschaftsrechts hinzugezogen worden ist, bleibt unerwähnt.
Nachdem die Justizsprecherin sehr diplomatische Antworten gibt, wird das zweite Thema anmoderiert: die automatische Reduktion der Unterhaltszahlungen als Folge der Doppelresidenz.
Andrea Czak von fem.a schildert richtigerweise, dass Mütter durch Karenz und Teilzeit Einkommenseinbußen erleiden und Väter nicht.
Auch hier könnte der ORF ausgleichend wirken und den Wortbeitrag von Anton Pototschnig bringen, wonach die Plattform Doppelresidenz und “Wir Väter” sich dafür aussprechen, Müttern temporär (ein bis zwei Jahre lang) eine Ausgleichszulage zu bezahlen, womit der richtigerweise schwierige Übergang abgefedert werden sollte (Details siehe https://www.wir-vaeter.at/loesungsvorschlaege/). Anton Pototschnig hatte das im Interview zur Sprache gebracht. Auch diese Aussage wurde nicht gesendet. Wieder wird die Möglichkeit zur Ausgewogenheit nicht genutzt. Stattdessen wird zur Bestätigung, dass es Vätern lediglich um eine Reduktion der Unterhaltszahlungen geht, Anton Pototschings Bemerkung eingeblendet, dass es zu einer Reduktion kommen muss – eine aus dem Zusammenhang gerissene Aussage.
Es wird aber noch eindeutiger. Helene Klaar bekommt ein zweites Mal viel Sendezeit. Sie erzählt von wöchentlich drei neuen Klientinnen, die von deren Männern berichten, die allesamt wegen einer neuen Freundin gegangen seien und nun die Doppelresidenz wollten, weil sie bei der Variante nichts zahlen müssten.
Nun könnte man fragen, was soll eine Anwältin anderes sagen, welche von Anfang an gegen die Doppelresidenz war? Die eigentliche Frage drängt sich immer vehementer auf: Warum gibt es keine Gegendarstellung?
Last but not least das letzte Thema: Gewaltschutz.
Der ORF aus dem Off zur Einleitung:
„Bisher war es nicht leicht, einen gewalttätigen Vater von der Familie fernzuhalten…”
Helene Klaar erzählt von einem Kind, welches dem Vater einen Kübel aufsetzen musste, damit dieser aufhört, die Mutter zu schlagen. Aus dem Off wird ergänzt: Nur mit viel Geld und langen Kampf gelingt es der Mutter, die Kontakte zwischen Kind und Vater abzuwenden.
Als Draufgabe bestätigt die Justizsprecherin, dass künftig kein Kind mehr gezwungen sein soll, Kontakt zu einem gewalttätigen Elternteil zu haben. Kinderrechte würden gestärkt werden.
Fassen wir zusammen:
Väter schlagen ihre Frauen und müssen von ihren Kindern daran gehindert werden, indem sie ihnen einen Kübel über den Kopf stülpen, um sie am Weiterschlagen zu hindern. Dann nehmen sie sich eine neue Freundin, gehen mit ihr und dem eigenen Kind gemeinsam ins Bett oder in die Badewanne. Väter streben zudem die Doppelresidenz ausschließlich zu dem Zweck an, sich die Unterhaltszahlungen zu ersparen. Und Väterrechtler unterstützen sie dabei.
- Dass in der Mehrzahl der europäischen Staaten Doppelresidenz bereits seit langem Gesetz ist und damit gute Erfahrungen gemacht werden, wird nicht erwähnt.
- Dass in Schweden 40% der Eltern mit ihren Kindern bereits Doppelresidenz leben und das in einem Verhältnis von mindestens 60:40 bis hin zur paritätischen Doppelresidenz, bleibt ebenso unerwähnt.
- Dass alle Meta-Studien eindeutig zu dem Ergebnis kommen, dass Doppelresidenz in der überwiegenden Zahl der Fälle positive Auswirkungen auf die Kinder hat, kommt nicht vor (Details siehe https://www.doppelresidenz.at/fachartikelstudien/).
- Dass Väterrechtler das Problem der Einkommensunterschiede sehen und für Ausgleichszahlungen sind, wird nicht gesendet, obwohl dies im Interview explizit angesprochen wurde (Details siehe https://www.wir-vaeter.at/forderungen/).
- Auch wenn Helene Klaar mit der Bezeichnung „renommierte Scheidungsanwältin“ zu einer Quasi-Expertin stilisiert wurde, bleibt doch zu hinterfragen, warum zu einem Thema, zu dem es in der Bevölkerung noch viele Informationslücken gibt, nur eine Person ausgewählt wird, die sich explizit gegen Doppelresidenz ausspricht, aber keine Gegenmeinung, außer von einem quasi betroffenen „Väterrechtler“? Helene Klaar ist zudem seit Jahrzehnten einschlägig bekannt mit ihren männerfeindlichen Sprüchen. Das Muster ist immer dasselbe: Männer sind an ihrer eigenen Brut nicht interessiert, sondern nur an ihrer neuen (meist) blonden Freundin. Sie füttern ihre Kinder am Wochenende mit Zuckerwatte und sind eigentlich eh nur ein Luxus für Kinder, also verzichtbar. Obige Aussagen schließen sich nahtlos an.
Der ORF, Susanne Schnabel und Sabina Riedl zeichnen bei einem von ihnen selbst als kritisch bezeichneten Thema ein völlig einseitiges Bild von Täter-Vätern und Opfer-Müttern. Ein kontroverses Thema, bei dem beide Geschlechter ein berechtigtes Interesse an einer objektiven Berichterstattung haben, wird vollkommen undifferenziert aufbereitet. Offensichtliches Ziel des Beitrags ist es, das Modell der Doppelresidenz zu diskreditieren. Experten, die sich für die Doppelresidenz aussprechen, werden nicht gezeigt.
Dass in den meisten europäischen Ländern die Doppelresidenz bereits gesetzlich verankert ist, bleibt ebenso unerwähnt wie die Ratifikation der “Europäischen Versammlung” (ein Gremium des Europäischen Rates), worin die Doppelresidenz bereits 2015 einstimmig für alle europäischen Länder empfohlen wird.
Stattdessen wird die Hälfte der Bevölkerung ausschließlich negativ geschildert, karikiert und – man kann behaupten – dämonisiert.
Stellen wir die eingangs gestellten Fragen noch einmal in den Raum:
- Haben Schnabl und Riedl mit ihrem Beitrag die Teilhabe an der freien demokratischen Meinungsbildung gewährleistet?
- Verteidigen sie die Menschenwürde, indem sie politischen Gruppierungen und deren verbalen Entgleisungen und bewussten Grenzüberschreitungen die Stirn bieten?
- Wurden Fakten berichtet?
- Diente der Beitrag dazu, in einer heiklen Sache, die Mütter, Väter und vor allem Kinder betrifft, allen gerecht zu werden – oder doch eher Menschen gegeneinander aufzuhetzen und Fronten zu verhärten?
- Haben sie sich also im obigen Sinne mit einer „guten Sache gemein gemacht?“
Wir überlassen Ihnen die Beantwortung der Fragen.
Komisch, es scheint, als hörte man ein leises Knarren. Da dreht sich wohl gerade „Hajo“ im Grabe um.
Wir Väter – Initiative für verantwortungsvolle Vaterschaft
Das Transkript und das Video der ORF-Report Sendung finden Sie unter https://www.wir-vaeter.at/orf-report2022