„Ich werde das Kind nicht zwingen“
Das Phänomen der „Eltern-Kind-Entfremdung“, oder wie Väter nach Trennung und Scheidung aus dem Leben der Kinder gedrängt werden.
Kommentar zum internationalen Tag der Eltern-Kind-Entfremdung am 25. April.
Als die Eltern die Trennung beschließen, einigen sie sich auf das Modell der Doppelresidenz. Beide Elternteile sollten gleich viel Verantwortung für das Kind übernehmen, sich also Zeit und Care-Arbeit teilen. Die ersten Probleme zeigen sich jedoch bereits vor der räumlichen Trennung. Die Mutter weigert sich, mit den Kindern über die Trennung zu reden und schiebt diese Aufgabe allein dem Vater zu. Bei den späteren Übergaben grüßt die Mutter den Vater nicht und kehrt ihm demonstrativ den Rücken zu. Die Kinder stehen sichtlich irritiert daneben. Während der Kontaktzeiten zeigen sich die Kinder offen, lassen sich auf den Vater ein. Bei der Verabschiedung in Gegenwart der Mutter gehen sie, ohne sich von ihm zu verabschieden. Die Mutter, von ihm abgewandt, tut es ihnen gleich.
Die Kontakte werden weniger. Erst heißt es seitens der Mutter, sie habe schon was vor am Wochenende. Später, die Kinder hätten keine Lust, ihn zu sehen. Elternberatung, Rainbows und Familiengerichtshilfe werden zugeschaltet. Ein Jahr vergeht. Die Kontakte aber enden bereits Monate zuvor. Die Begründung der Mutter: „Ich werde die Kinder nicht zwingen.“ Die tatsächliche emotionale Befindlichkeit der Kinder wird über Monate nicht erhoben.
In einer Stellungnahme der Familiengerichtshilfe heißt es später: „…die Mutter habe fast alle Angebote der Kontaktanbahnung abgelehnt…“ und „… verwehrte dem Vater fast jegliche Möglichkeit, den Kontakt zu den Kindern zu erhalten.“ Die Familiengerichtshilfe schildert den Vater als zuverlässig, stabil und empathisch, erachtet ihn als wichtige Bezugsperson für die Kinder und empfiehlt die Doppelresidenz. Die zuständige Richterin aber fällt über Jahre keinen Beschluss. Mittlerweile sind 3 Jahre vergangen. Der Vater sieht sein Kind seit 2 Jahren nicht mehr. Die Kinder sprechen sich, erst verhalten, später entschieden gegen Kontakte zu ihm aus.
„Hätte mir vor 5 Jahren jemand erzählt, was mir in den nächsten Jahren alles zustoßen wird, hätte ich ihn für verrückt erklärt oder ausgelacht.“ Ein Satz, der so oder so ähnlich schon von vielen Vätern formuliert wurde.
„Weil du mir gehörst“, ein Spielfilm (ARD), der sich mit dem Phänomen der „Eltern-Kind-Entfremdung“ auseinandersetzt, zeigt die Schritte zu Entfremdung exemplarisch auf. Der Film beginnt ein Jahr nach der Trennung der Eltern. Das Kind, befragt vom Richter, sagt: „Wenn Sie jetzt meinen, dass ich wieder zu ihm muss, dann bringe ich mich um.“ In der Rückblende ein Jahr zuvor ist ein inniges Verhältnis zwischen Vater und Tochter zu sehen. Mit dem Auszug aus dem gemeinsamen Haushalt beginnt die Manipulation des Kindes durch die Mutter. Nachrichten vom Vater an die Tochter werden unterschlagen. Am Besuchswochenende fährt die Mutter spontan zu den Großeltern und sagt zur Tochter, der Vater komme nicht, ihm sei die Arbeit halt wichtiger. Ein Umzug besiegelt den völligen Kontaktabbruch. Das Kind bekommt eine falsche Telefonnummer vom Vater. Die Nachrichten vom Vater ans Kind kommen nie an. Die Mutter vermittelt dem Kind, dem Vater sei sie nicht so wichtig. Die tiefe Kränkung, welche das Kind dadurch erfährt, führt letztlich zur völligen Ablehnung des Vaters und zu obiger Aussage vor Gericht.
Eltern-Kind-Entfremdung hat unterschiedliche Hintergründe. Ein zentrales Moment des Phänomens stellt die aktive Ablehnung des Kindes gegenüber einem Elternteil dar, wodurch es letztlich zu einer lang andauernden oder auch lebenslangen Kontaktunterbrechung zwischen Kind und Elternteil (in den meisten Fällen zum Vater) kommt. Ein Nach-Scheidungs-/Trennungs-Phänomen. Die Motive des Kindes auf die oben geschilderten Manipulationen durch (i.d.R.) Mütter zu reduzieren, würde der Vielschichtigkeit des Phänomens nicht gerecht werden. Tatsächlich ist es ein kleiner Teil, bei dem es sich um aktive Entfremdung handelt. In vielen Fällen gibt es keine bewusste Manipulation, sondern lediglich eine atmosphärische. Kinder wenden sich aber auch von einem Elternteil ab, weil sie sich von ihm verletzt und gekränkt fühlen, eine Aussprache nicht mehr gelingt und die räumliche Trennung einer aktiven Auseinandersetzung entgegensteht. In vielen Fällen aber wenden sich Kinder von einem Elternteil ab, weil sie sich nur dadurch vor den Konflikten der Eltern schützen können. Im Konflikt zweier geliebter Bezugspersonen entscheiden sie sich für die sicherere Variante.
90% der Kinder leben nach der Trennung bei den Müttern. Der Vater geht bei der Trennung bereits aus dem alltäglichen Leben verlustig. Sich gegen den verbleibenden, sicheren Elternteil zu stellen, indem man immer wieder Solidarität gegenüber dem außenstehenden bekundet („Wann kommt Papa endlich wieder?“, „Ich hab Papa so lieb!“…), würde die Gefahr mit sich bringen, auch den sicheren – i.d.R. die Mutter – zu verlieren.
Stellen Sie sich ihre zwei besten Freunde vor, die sich auf einmal völlig zerstreiten, sich aus dem Weg gehen und Loyalität von Ihnen einfordern. Stellen Sie sich nicht auf deren Seite, verlieren Sie über kurz oder lang einen oder beide, je nach Verhärtung der Situation.
Genau das aber trachten Kinder zu vermeiden. Die Not zwingt sie, sich loyal gegenüber dem zu zeigen, bei dem sie bereits leben, dessen emotionale Befindlichkeit sie tagtäglich mitbekommen und an der, aus ihrer eingeschränkten Perspektive, letztlich „wohl auch etwas Wahres dran sein muss“. Daher entscheiden sie sich im Extremfall aktiv gegen den anderen. Und das obwohl sie in ihrem eigenen Erleben den anderen Elternteil nicht so wahrgenommen haben (trotz der vielen Fehler, die halt alle Eltern so an sich haben), sondern, wie im Film gezeichnet, diesen sogar sehr geliebt haben, sie also ihre eigene Realität, ihre eigenen Gefühle verdrängen müssen und i.d.R. den Vater plötzlich zum Feind erklären müssen. Da sie zugleich spüren, dass „da was nicht stimmt“, sie dieser inneren Stimme aber keinen Platz verleihen dürfen stellt diese Situation eine massive psychische Belastung dar führt in aller Konsequenz zu Entwicklungsstörungen oder und macht Kinder schlicht und einfach krank.
In der deutschen Fachzeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe (ZKJ 7/2022 und ZKJ 8/2022 – Download als PDF) kommt das hochrangige fünfköpfige Expertenteam (Dr. phil. Habil. Menno Baumann, Dr. Charlotte Michel-Biegel, Dr. Stefan Rücker, u.a.m) zu folgendem Fazit: „Deutlich wird an allen Stellen: Eltern-Kind-Entfremdung ist ein deutliches sozial-emotionales Entwicklungsrisiko und kann im Fall von Instrumentalisierung auch als eine Form von Kindesmisshandlung gesehen werden. Sie darf – wie in der aktuellen Praxis leider häufig vorzufinden – nicht länger ignoriert werden oder durch Abwarten oder gar durch Dauerverfahrensschleifen ihre schädigende Wirkung auf einen nicht unerheblichen Teil der in Deutschland aufwachsenden Kinder und Jugendlichen entfalten.“
Genau diese Dauerverfahrensschleifen aber stellen unsere gängige Praxis dar. Die Fälle ähneln einander in ihrer Dynamik. Erst werden Kontakte (ich bleibe bei den Regelfällen) von Müttern sukzessive eingeschränkt. Väter wenden sich hilfesuchend ans Gericht. Die erste Tagsatzung passiert oft erst nach Monaten. Weitere Termine werden (oft mit Hilfe von Anwält:innen) immer wieder verschoben. Kontaktabbrüche werden vollzogen, oft mit dem Begleitsatz: „Ich werde meine Kinder nicht zwingen.“ Erziehungsberatung wird empfohlen, die Jugendgerichtshilfe zugeschaltet und später Sachverständige. Jahre vergehen, Fronten verhärten. Väter müssen der sukzessiven Entfremdung ohnmächtig zusehen bzw. sie einfach hinnehmen. Mütter verfahren willkürlich, Behörden tun nichts oder zu wenig dagegen, Gerichte ebenso. Nachdem nach Jahren der Karren völlig verfahren ist, wird die bereits seit langem vollzogene Kontaktrechtsunterbrechung auch gerichtlich angeordnet, weil von den Experten keine Veränderung mehr möglich scheint und der Kampf endlich zur Ruhe kommen soll.
Wendet man sich in Österreich an Experten, wird nicht so gerne von Eltern-Kind-Entfremdung gesprochen, sondern von Hochstrittigkeit. Damit aber wird der Fokus in eine bestimmte Richtung verschoben. Gemeint wird damit primär ein symmetrischer Konflikt. Oder, anders gesagt: „Zum Streiten gehören immer zwei.“ Diesen Umstand in Abrede zu stellen, wäre natürlich Unsinn. Im Kern aber ist damit gemeint, dass es immer zwei gleich Beteiligte gibt. Die Fragen danach, wer beginnt, wo die Macht liegt, wer der destruktivere ist, wer angreift und wer sich verteidigt, müssen damit nicht gestellt werden.
Tatsache ist: 90% der Kinder verbleiben nach Trennungen bei der Mutter und damit in ihrem Einfluss- und Machtbereich. Boykottieren Mütter Besuchskontakte, passiert in der Regel erstmal nichts. Dass sie damit vertragsbrüchig werden, dass sie ihre Befindlichkeit über die Bedürfnisse des Kindes stellen, sie einen eklatanten Mangel an Empathiefähigkeit zeigen, dass hinter ihrem Handeln nicht selten eine Persönlichkeitsstörung liegt, wird oft weder wahrgenommen noch folgen Konsequenzen daraus. Ganz im Gegenteil hören Väter oft „Na, irgendetwas wird schon gewesen sein.“ Zeigen sich Väter ob der Willkürlichkeit und der Kontaktbehinderungen zum Kind ungehalten oder gar aggressiv, wird diese Emotion unmittelbar als Bestätigung obiger Theorie gewertet. Die Vorbehalte der Mutter werden nun auch vom Helfersystem bestätigt.
Hochstrittigkeit wird definiert durch fortgesetzte juristische Streitigkeiten, mit emotionalen Themen im Vordergrund, wo außergerichtliche Einigungsversuche fehlschlagen und Kinder instrumentalisiert werden. Orientiert man sich also am Begriff der Hochstrittigkeit, sind außergerichtliche Einigungsversuche bereits gescheitert und fortgesetzte juristische Streitigkeiten seit langer Zeit im Gange. Zu diesem Zeitpunkt aber ist in der Regel der Kontaktabbruch längst vollzogen.
Mütter – in ihrem Tun nicht eingebremst – wirken aus unterschiedlichsten Gründen gegen Kontakte und verhindern sie vielfach komplett. Väter, die sich hilfesuchend an Beratungsstellen und an Gerichte wenden, bekommen keine Unterstützung. Die Situation verhärtet sich. Väter sehen ihre Kinder nicht. Dann erst wird Hochstrittigkeit postuliert.
Das Konstrukt „Hochstrittigkeit“ ist also per Definitionem nicht dazu geeignet, der Eltern-Kind-Entfremdung entgegenzuwirken, weil die Entfremdung zu diesem Zeitpunkt vielfach bereits vollzogen ist. Eltern-Kind-Entfremdung aber, wird auf Expertenebene nicht als eigenständiges Phänomen wahrgenommen.
Womit hat das zu tun? Frauen bzw. Mütter dürfen in unserer Gesellschaft mit zwei Attributen nicht belegt werden: Macht und Aggressivität. Keiner hat ein Problem, Männern beides zu unterstellen. Männer sind… Unterstellt man Selbiges Frauen, hört man immer, „Ja schon, aber nur weil…“. Frauen sind also nur dann aggressiv, weil sie vorher provoziert worden sind. Männern wird dieses „weil…“ nicht zugestanden. Männer sind einfach aggressiv. Stichwort Testoteron.
Und Macht? Unterstellt man Frauen Macht, landet man unweigerlich bei der jahrtausendelangen Unterdrückung. Wie soll das also gehen? Dementsprechend stellt der Falter vor kurzem die Frage: „Was, wenn es auch toxische Weiblichkeit gibt?“ und bezieht sich dabei auf das Buch von Sophie Fritz: „Toxische Weiblichkeit ist nicht tödlich und gilt nicht dem Erhalt einer Machtposition.“ Was würden wohl Estibaliz Carranza (Doppelmörderin), Lainzer Schwestern und Margret Thatcher dazu sagen.
Nun. Die Bestimmungsmacht der Mütter über ihre Kinder ist leise, passiert zwischen Tür und Angel, ohne großes Aufheben und lässt sich schon erahnen, wenn Mütter vor der Trennung sagen: „Ich werde dir das Kind nie wegnehmen“. Wird die Trennung vereinbart hören viele Väter: „Öfter als alle zwei Wochenenden bekommst du das Kind nicht, dass halt ich sonst nicht aus.“ Sich der eigenen Position bewusst– gesellschaftlich zugeschrieben und behördlich gestützt – herrscht vielfach Willkür.
Ein Vater, der mit der Mutter die Doppelresidenz für seinen 8-jährigen Sohn vereinbart hat und das Modell nun schon seit fast einem Jahr lebt, berichtet vom plötzlichen Bruch der Vereinbarung durch die Mutter. Die Mutter informiert den Vater unabgesprochen über die Reduktion der Zeit mit seinem Sohn. Der Vater beschwert sich bei ihr, will die Doppelresidenz fortleben und hört: „Die Doppelresidenz wurde von mir nur geduldet. Sei froh, dass du ihn überhaupt noch siehst.“ Der Vater will wissen mit welcher Begründung sie das tut, obwohl das Kind die gleichen Zeiten bei beiden Elternteilen sehr gut aufgenommen hat. Die Mutter: „Das ist einfach so.“ Das Gericht setzt der Mutter keine Schranken. Das Verfahren dauert eineinhalb Jahre. Der Vater sieht seinen Sohn seither nur noch an den Wochenenden.
Fazit: Wird Müttern der Machtanspruch abgesprochen, braucht man dagegen auch nichts tun. Sind Kinder also a priori bei Müttern nicht in Gefahr und wird die Bindung zwischen Vätern und ihren Kindern nicht schützenswert angesehen, braucht es auch keinen genauen Blick darauf und damit weder schnelles Handeln, geschweige denn Sanktionen. Zum Vergleich. In Frankreich ist die Doppelresidenz ein gesetzlich anerkanntes Modell. Kindesvorenthalt wird strafrechtlich geahndet, ähnlich einem Kidnapping.
Mütterlichem Machtmissbrauch aber entschieden entgegentreten verlangt der Kinderschutz und hat im Zeitalter der Gleichberechtigung schlicht nichts mehr verloren. Mehrere Urteile des Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) haben genau diesen Sachverhalt zum Thema. Der EGMR hat das Phänomen der Elternentfremdung anerkannt (parental alienation) und mehrere Staaten bzw. dessen Behörden wurden für dessen Umgang mit dem Kontaktrecht und Sorgerecht verurteilt, wegen zu langem Zuwarten und keinem entschiedenen Dagegenhalten (ZKJ 7/2022 und ZKJ 8/2022 – Download als PDF).
Werden Kinder einem Elternteil unbegründet vorenthalten, gilt es in erster Linie, schnell und entschieden dagegen zu wirken. Dazu braucht es ein mulitprofessionelles Team mit hoher fachlicher Qualifikation. Österreich und andere Länder verstoßen seit Jahren gegen Art. 8 der EMRK, stellt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Österreich verurteilt wird und der Gesetzgeber gezwungen sein wird, sich der Sache anzunehmen. Wie viele Kinder bis dahin diesem krankmachenden Prozess unterliegen werden, liegt in der Verantwortung all jener, die nicht hinschauen wollen.
Anton Pototschnig
Dipl. Sozialarbeiter und Familiencoach
sowie Obmann der Vereine „Wir Väter“ und „Doppelresidenz“