Das Prinzip „Schuld“ im österreichischen Scheidungsrecht: Hindernis für eine faire Trennung?
Die Frage, ob das Verschuldensprinzip einer „guten“ Scheidung im Weg steht, wurde in einer aktuellen sozialwissenschaftlichen Studie des Österreichischen Instituts für Familienforschung (ÖIF) untersucht. Diese analysierte, wie Familienrichter, Berater, Mediator sowie geschiedene Männer und Frauen das Scheidungsrecht und seine Praxis erleben. Besonders im Fokus stand dabei das Verschuldensprinzip – ein Element, das im österreichischen Ehegesetz (§ 49 EheG) verankert ist und die Schuldfrage zentral für die Scheidungsfolgen macht.
Das rechtliche Fundament
Das österreichische Scheidungsrecht basiert vorrangig auf dem Zerrüttungsprinzip, lässt jedoch das Verschuldensprinzip weiterhin eine große Rolle spielen. Wenn ein Ehepartner eine „schwere Eheverfehlung“ begeht, kann dies als Grund für eine Scheidung geltend gemacht werden – mit weitreichenden Folgen. Insbesondere der nacheheliche Unterhalt ist häufig direkt mit der Verschuldensfrage verknüpft (§ 66 EheG).
Statistische Relevanz des Verschuldensprinzips
Die Daten aus dem Jahr 2023 verdeutlichen die anhaltende Bedeutung des Verschuldensprinzips im österreichischen Scheidungsrecht. Von den insgesamt 14.721 Scheidungen wurden 86 % einvernehmlich abgeschlossen, was die bevorzugte Lösungsvariante vieler Paare zu sein scheint. Doch die Zahlen zeigen nicht, wie viele dieser einvernehmlichen Scheidungen ursprünglich auf eine strittige Scheidung zusteuerten und erst in letzter Minute – oft unter großem emotionalen und finanziellen Druck – doch noch in eine Einigung mündeten. Zudem entfielen 7,4 % aller Scheidungen auf schwere Eheverfehlungen (§ 49 EheG), während die Alternative einer dreijährigen Trennung der häuslichen Gemeinschaft (§ 55 EheG) mit nur 4,6 % der Fälle eine untergeordnete Rolle spielt.
Die Praxis: Schuldzuweisungen und Eskalationen
Die Studie zeigt, dass das Verschuldensprinzip häufig nicht nur als rechtliches Mittel, sondern auch als emotionales Druckinstrument dient. Betroffene berichten von intensiven Kämpfen, um die Schuld der anderen Partei zu beweisen oder die eigene abzuwehren. Dies führt oft zu hohen Kosten, emotionalen Verletzungen und langwierigen Verfahren, die nicht selten eskalieren.
Einer der Teilnehmenden beschreibt das Verschuldensprinzip als „Kriegserklärung“, die beide Seiten in „einen schäbigen Kampf ums Gewinnen“ treibt. Besonders betroffen sind die Kinder geschiedener Eltern, die in solchen Konflikten „dazwischen zerrieben“ werden. Familienrichter berichten von Fällen, in denen sie aus kleinsten Details ein Verschulden „konstruieren“ müssen, obwohl die tatsächlichen Ereignisse oft subjektiv gefärbt und kaum eindeutig zu beurteilen sind.
Mediation als Alternative
Ein zentraler Befund der Studie ist die Bedeutung von Mediation. Sie bietet die Möglichkeit, Konflikte außerhalb eines gerichtlichen Rahmens zu bearbeiten und Lösungen zu entwickeln, die von den Parteien selbst verantwortet werden. Mediation wird von Berater und Mediator als niederschwellige und hilfreiche Alternative geschätzt, insbesondere wenn es um die Bearbeitung von Schuldzuweisungen und emotionalen Verletzungen geht.
Aktuell wird Mediation in Österreich vom Bund gefördert, jedoch nur begrenzt genutzt. Der Ausbau dieser Option könnte helfen, belastende Eskalationen in gerichtlichen Verfahren zu vermeiden.
Ungleichheiten im System
Ein weiteres zentrales Problem, das die Studie aufzeigt, ist die geschlechtsspezifische Rollenverteilung in vielen Ehen. Oft übernehmen Männer die materielle Versorgung der Familie, während Frauen sich auf die Betreuung der Kinder und den Haushalt konzentrieren. Diese Aufteilung bringt beide Geschlechter in Scheidungsverfahren in eine schwächere Position: Frauen stehen häufig vor ökonomischen Herausforderungen, Männer haben oft weniger Kontakt zu ihren Kindern und kämpfen um ihr Betreuungsrecht.
Die Verknüpfung des nachehelichen Unterhalts mit der Schuldfrage verstärkt diese Ungleichheiten. Viele Experten fordern daher, den Unterhalt stärker bedarfs- statt verschuldensorientiert zu gestalten, um die Konfliktpotenziale zu reduzieren.
Ein Ausblick: Ein gerechteres Scheidungsrecht
Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass das Verschuldensprinzip nicht nur rechtlich, sondern auch emotional und sozial problematisch ist. Ein modernes, zukunftsorientiertes Scheidungsrecht sollte daher:
- Den nachehelichen Unterhalt vollständig von der Verschuldensfrage entkoppeln.
- Frühzeitig Aufklärungsarbeit über Rechte und Pflichten in der Ehe leisten, um ungleiche Rollenverteilungen zu vermeiden.
- Mediation als Standard in Scheidungsverfahren etablieren, um faire und eigenverantwortliche Lösungen zu fördern.
Als Verein „Wir Väter“ setzen wir uns für Reformen ein, die darauf abzielen, Konflikte zu minimieren und das Kindeswohl sowie die Zukunft der Familien in den Mittelpunkt zu stellen. Wir befürworten die in der Studie beschriebenen Ansätze, insbesondere die Entkopplung des Unterhalts vom Verschuldensprinzip und die stärkere Einbindung von Mediation in Scheidungsverfahren. Denn eine Scheidung muss nicht zwangsläufig ein „Krieg“ sein – sie kann auch eine faire und respektvolle Lösung für alle Beteiligten ermöglichen.