Strukturelle Diskriminierung im Familienrecht: Ein blinder Fleck in der Gleichstellungsdebatte

Jeaninne Herländer argumentiert in ihrem Leitartikel („Vom Patriarchat bleibt nur ein Phantomschmerz“, Die Presse, 6. März 2025), dass strukturelle Diskriminierung in Österreichs Gesellschaft des 21. Jahrhunderts nicht mehr existiere. Während sie zurecht darauf hinweist, dass Frauen und Männer in vielen Bereichen gleichgezogen haben oder sich die Schere weiter schließt, bleibt ein Bereich in ihrer Analyse vollkommen ausgeblendet: das Kindschaftsrecht. In diesem weitgehend von Frauen dominierten Bereich sind weiterhin veraltete gesellschaftliche Rollenvorstellungen vorherrschend mit negativen Auswirkungen auf Mütter, Väter und Kinder.

Ein System im Widerspruch zu sich selbst

Das österreichische Familienrecht hat nach der im Artikel erwähnten Reform in den letzten Jahrzehnten einige Fortschritte gemacht. 2013 wurde Vätern immerhin das Recht zugestanden, eine gemeinsame Obsorge auch gegen den Willen der Mutter zu beantragen – ein Schritt, zu dem Österreich erst durch eine Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erzwungen wurde. Dadurch können auch Väter ihren Teil in der Betreuung der und Verantwortung für die Kinder übernehmen und so Rollenstereotypen aufbrechen. In der Praxis bleiben aber noch einige “Stolpersteine” wie z.B. das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das zu über 90% bei den Müttern bleibt. Dies führt in vielen Fällen dazu, dass der Vater auf lange Sicht aus dem Leben des Kindes gedrängt wird, obwohl dies nicht dem Kindeswohl entspricht (siehe Urteil des Verfassungsgerichtshof 2015).

Väter kämpfen um Gleichstellung – nicht um Privilegien

Die Frage der Obsorge und des Kontakts zum Kind wird in hochstrittigen Trennungen oft zu einem zermürbenden Rechtsstreit – mit negativen Folgen für alle Beteiligten. Väter berichten immer wieder von massiven Hürden, wenn sie sich für eine gleichwertige Betreuung ihrer Kinder engagieren. Empfehlungen von Sachverständigen für ausgedehnte Kontakte oder gar die Doppelresidenz werden regelmäßig ignoriert. Verfahren dauern oft Jahre, während Kinder den Kontakt zu einem Elternteil verlieren. Richter:innen zeigen sich häufig überfordert, meiden mutige Entscheidungen und ordnen stattdessen weitere Gutachten an. In dieser Zeit entfremden sich viele Kinder von ihrem Vater – ein Prozess, der sich später nur schwer rückgängig machen lässt. 

Fortschrittliche Gleichstellungspolitik muss Frauen und Männer inkludieren

Die Vorstellung, dass Mütter „besser geeignet“ für die Betreuung sind, ist nicht nur eine Form von struktureller Diskriminierung gegen Väter, sondern belastet auch Frauen. Denn solange sie als primär Verantwortliche für die Kinder gesehen werden, bleibt ihnen die Doppelbelastung von Beruf und Familie weiterhin erhalten. Eine echte Gleichstellung gibt es nur, wenn auch Männer auch im Falle einer Trennung die Möglichkeit haben, gleichberechtigt für ihre Kinder da zu sein.

Dass diese Diskussion immer noch geführt werden muss, zeigt, wie tief patriarchale Denkmuster tatsächlich in unserer Gesellschaft verwurzelt sind. Wer strukturelle Diskriminierung im 21. Jahrhundert für „schlichtweg falsch“ hält, sollte sich dringend mit dem Familienrecht befassen.

Anton Potoschnig
Dipl. Sozialarbeiter und Familiencoach
sowie Obmann der Vereine „Wir Väter“ und „Doppelresidenz“


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