Die Presse Gastkommentar – Neues Kindschaftsrecht: Aufbruch oder Stagnation?
Vollversion des Die Presse-Gastkommentars von Wir-Väter-Obmann Anton Potoschnig zum Thema Kindschaftsrechtsreform:
Neues Kindschaftsrecht: Aufbruch oder Stagnation?
Gastkommentar. Heute ist internationaler Männertag. Ein Anlass, um über das Paradigma der Verzichtbarkeit von Vätern und die Folgen reden.
von Anton Pototschnig
Im Justizministerium wird seit zwei Jahren an der Vorbereitung eines neuen Kindschaftsrechts gearbeitet. Gewaltschutzeinrichtungen, Frauenorganisationen und Vätervertreter klagen über lange, für alle belastende Verfahren und Willkür auf professioneller Seite. Während erstere hervorheben, dass Mütter und Kinder nicht ausreichend vor Gewalt geschützt werden, weisen Väter darauf hin, dass sie mit der Trennung ganz oder teilweise aus der Beziehung zum Kind gedrängt werden. Die Ursachen lassen sich in gesetzlichen Bestimmungen, einem Mutter-Mythos einhergehend mit dem Paradigma der Verzichtbarkeit von Vätern und verfehlten Verfahrensabläufen ausmachen.
2013 legte das Gesetz fest, dass es nach der Scheidung für das Kind eine hauptsächliche Bezugsperson geben muss. Bereits 2015 setzte der VGH einen Kontrapunkt und legitimierte die Doppelresidenz. Mit dieser Widersprüchlichkeit erweiterte sich der Interpretationsspielraum für Richter:innen: deren persönliche Haltung bestimmte mehr und mehr ihre Entscheidungen. Eltern klagen seitdem vermehrt über richterliche Willkürlichkeit.
Erzwungenes Ungleichgewicht
Ungeachtet dessen entscheiden sich zuletzt immer mehr Eltern für die Doppelresidenz und stoßen auf Probleme. Auch wenn sie sich einvernehmlich für eine gleichteilige Verantwortungsübernahme entscheiden, sind sie gezwungen, einen hauptsächlichen Aufenthalt festlegen. Mit diesem ist unter anderem auch das Recht auf Bezug der Familienbeihilfe verknüpft. Das Gesetz zwingt Eltern damit in ein Ungleichgewicht. In einer so verletzlichen, von Instabilität und Unsicherheit getragenen Situation wie der Trennungsphase, ist dies alles andere als konfliktmindernd.
Völlig unberücksichtigt blieb bisher, dass Studien auf der ganzen Welt die Vorteile der Doppelresidenz für Kinder und Eltern eindeutig bestätigen. Aufgrund der klaren Sachlage ratifizierte 2015 die „Parlamentarische Versammlung“ des Europarates einstimmig die Resolution, dass die Doppelresidenz in allen Ländern zum Standard erhoben werden sollte. Nicht so in Österreich, wo diese Resolution bisher nicht umgesetzt wurde. Ein weiterer Punkt, der Konflikte fördert: Anstatt die gemeinsame Obsorge einfach aufrecht zu belassen, wird mit der Scheidung/Trennung der Kampf darum erst eröffnet. Väter fürchten Elternteil zweiter Klasse zu werden. Mütter fürchten in ihrem Entscheidungsspielraum eingeschränkt zu werden. Ein vermeidbarer Kampf beginnt. Das Kind mittendrin.
In Deutschland gibt es das automatische gemeinsame Sorgerecht seit 1998. Eine von Rot-Grün in Auftrag gegebene Studie zeigte: die Angst, dass der jeweilig andere das Sorgerecht nur zu seinen Gunsten ausnutzen könnte, bestätigte sich nicht. Ganz im Gegenteil wuchs das gegenseitige Vertrauen, die Konflikte reduzierten sich und die Kooperationsbereitschaft verbesserte sich deutlich. In Österreich wird die Frage nach der rechtlichen Vertretung mit jeder Scheidung/Trennung und bei jeder unehelichen Geburt weiterhin aufgeworfen. Die ideologische Basis dafür ist hier zu finden: Bis in die 1970er Jahre waren Frauen dem Willen ihrer Männer unterworfen. Die Gleichstellungsgesetze setzen dem endlich ein Ende. In Bezug auf das Kind aber kehrten sich die Verhältnisse um. Das zeigt sich z. B. darin, dass bis 2013 ein Vater nicht einmal einen Antrag auf gemeinsame Obsorge stellen durfte, wenn die Mutter dagegen war. Der Wille der Mutter war Gesetz. 2011 wurde Österreich daher vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Diskriminierung von Vätern verurteilt.
Mystifizierung der Mütter
Die Mystifizierung der Mütter aber wurde und wird von vermeintlichen Feminist:innen und manchen Politiker:innen munter weiterbetrieben. Erst diese Woche meinte Scheidungsanwältin Helene Klaar, ob ihrer populistisch-sexistischen Sprüche medial omnipräsent, sinngemäß: hat ein Kind eine Mutter genügt das völlig, Väter sind ein Luxus. In früheren Interviews zeigte sie sich davon überzeugt, dass Väter an ihrer eigenen Brut sowieso nicht interessiert seien, sondern nur an der “hübschen blonden neuen Freundin” usw.
Klaar steht damit nicht alleine da: manche Feministinnen und Interessensvertretungen kreieren seit langem ein verallgemeinerndes, undifferenziertes Bild männlicher Unzulänglichkeiten und Gewaltbereitschaft. Dabei gibt es auch psychische und physische weibliche Gewalt gegenüber Kindern und Vätern. Während Mütter zur einzig legitimen Schutzmacht Kindern gegenüber stilisiert werden, wird umgekehrt jegliche Form der Benachteiligung von Vätern ausgeblendet und letztlich legitimiert. Dass von rund 10.000 Gefährdungsmeldungen die jährlich allein in der Wiener Jugendwohlfahrt eingehen, in den meisten Fällen die Gefahr von Müttern (viele von ihnen sind überforderte Alleinerzieherinnen) ausgeht, verschwindet völlig aus dem öffentlichen Bewusstsein. Selbst ernannte Frauenrechtler:innen werden so unbewusst zum Sprachrohr patriarchaler Denkmuster wie: „Nur bei Frauen sind Kinder gut aufgehoben“.
Haarsträubende Ergebnisse
Genau auf diesem ideologischen Boden gedeihen letztlich Verfahrensverläufe, die zwischen Unentschlossenheit und Unfachlichkeit teils haarsträubende Ergebnisse liefern. Als ich vor über 30 Jahren meine Tätigkeit im Jugendamt begann, hörte ich folgenden Satz: „Ein Beschluss gegen den Willen der Mutter landet letztlich immer auf dem Rücken des Kindes“. Daran hat sich bis heute nichts verändert. Gefasste Beschlüsse werden oft nicht umgesetzt, wenn sich Mütter weigern. Etliche Richter:innen verweigern deshalb über Jahre Beschlussfassungen. Väter fahren oft hunderte Kilometer zu einem Besuchswochenende und stehen vor verschlossenen Türen. Kinder werden den Vätern gegenüber entfremdet, Kontakte völlig abgebrochen. In den überwiegenden Fällen völlig ohne Konsequenzen für Mütter. Werden Mediationen oder Elternberatungen angeordnet, bleiben sie vielfach ohne Ergebnisse, weil manche Mütter einfach nicht bereit sind, dem Vater seine Rolle zuzugestehen. Konsequenzen gibt es keine. Stattdessen wird ein Gutachten nach dem anderen eingeholt. Jahre vergehen. Kinder werden dazwischen zerrieben. Beziehungen gehen verloren.
Selbstverständlich soll hier nicht negiert werden, dass es auch viele Fälle gibt, in denen Mütter in ihren Rechten und Bedürfnissen nicht adäquat beurteilt werden und sich Väter destruktiv verhalten. An den geschilderten Problemen der Väter ändert dies aber nichts.
Es braucht folgende Lösungen: das klare Bekenntnis zur gemeinsamen Obsorge ab Geburt des Kindes und der Doppelresidenz als priorisiertes Modell bei entsprechenden Voraussetzungen, einhergehend mit temporären Ausgleichszahlungen durch die öffentliche Hand und den Besserverdienenden. Sollte es dennoch zu gerichtlichen Auseinandersetzungen kommen: Verfahrensabläufe, beginnend mit einer Gefährdungsanalyse, entsprechender Kontaktregelung und Konsequenzen bei Fehlverhalten.
Der Weg dorthin kann nur ein dialogischer sein.
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