ORF Report zum Thema Kindschaftsrechtsreform – ist das neutrale Berichterstattung?
Am 6.12.2022 berichtet der ORF Report im Beitrag „Kampf ums Kind“ über offene Fragen der angekündigten Kindschaftsrechtsreform. Anton Pototschnig, Obmann von der Plattform Doppelresidenz.at und “Wir-Vaeter.at” wurde ebenfalls interviewt:
Der gesamte Beitrag wirft einige Fragen auf, die exemplarisch dafür betrachtet werden können, wie aktuell der Diskurs zu diesem gesellschaftlich wichtigen Thema verläuft. Konkret zum Inhalt:
Die klinische Psychologin Völkl-Kernstock hat Recht, wenn sie auf die Frage, ob es gut ist für ein Kind, wenn es zwischen zwei Haushalten pendelt, meint: „Manchmal ja, manchmal nein“.
Weder die „Plattform Doppelresidenz.at“ noch „Wir-Vater.at” wollen die paritätische Doppelresidenz (=50/50) zu einem Dogma machen. Fakt ist, dass momentan die meisten Kinder ihre Väter nach der Trennung in der Regel – unabhängig von ihrer vorigen Bindung zum Vater – in der Regel nur noch 4 Tage im Monat sehen. Ist das gut für die Kinder?
Andrea Czak von FEM.a bzw. die Anwältin Helene Klaar haben Recht, wenn sie behaupten, dass Mütter durchschnittlich 2 Jahre beim Kind bleiben und durch Teilzeitarbeit Einkommensverluste hinnehmen müssen, Väter aber nicht – und dass Mütter nach einer Trennung nicht von heute auf morgen doppelt so viel arbeiten sollen müssen. Deshalb fordern „Wir-Väter“ auch eine Ausgleichszahlung für die Dauer von zwei Jahren, damit Kinder bei beiden Elternteilen die gleichen Voraussetzungen vorfinden (alle Forderungen von “Wir Väter” anzeigen). Mütter sollen dadurch unterstützt werden, sich leichter und mit weniger Druck am Arbeitsmarkt zu etablieren.
Bei gleicher oder annähernd gleicher Betreuung der Kinder, wäre es dann aber fair, wenn Väter trotzdem den vollen Unterhalt zahlen müssten und nicht beide Elternteile entsprechend ihrer Betreuungszeit und ihrer wirtschaftlichen Fähigkeiten ihren Anteil leisten?
Andrea Czak hat Recht, wenn sie behauptet, dass man nicht so tun kann, als ob die Gleichheit der Geschlechter schon erreicht worden wäre. Sowohl Väter als auch Mütter stecken noch in ihren Rollenmustern fest. Die Frage aber ist: wollen Frauen auf Dauer in der Abhängigkeit bleiben oder wollen sie auf eigenen Beinen stehen? Wenn dem so ist, dient diesem Ziel eine unbefristete Alimentation durch den Mann?
Feminist:innen haben Recht, wenn sie auf ihre Standpunkte aufmerksam machen. Ein Sender mit öffentlichem Auftrag wie der ORF täte allerdings gut daran, ein gesellschaftspolitisch heiß umkämpftes Thema neutral und von allen Seiten ausgewogen zu beleuchten. Entspricht es dem Prinzip der Gleichbehandlung, wenn Väter darin nur 20 Sekunden lang zu Wort kommen und Feministinnen aber 4 Minuten?
Und entspricht es dem Prinzip der Ausgewogenheit und der Neutralität, wenn offensichtlich polemische und sexistische Äußerungen über Männer darin Platz finden? Und dient es diesem Anspruch, wenn Beispiele der Benachteiligung ausschließlich aus der Perspektive von Müttern gebracht werden, keines aber aus der von Vätern?
Wir sind der Überzeugung, dass durch diesen Beitrag ein Grundproblem des öffentlichen Diskurses sichtbar wird: patriarchale Denkmuster wie “Frauen sind für die Kinderbetreuung zuständig und Väter für deren Versorgung” sind noch immer weit verbreitet und werden leider auch von den Medien allzu oft unkritisch weiterverbreitet.
Wir Väter sind bereit, uns damit auseinanderzusetzen. Selbstkritisch – aber auch fordernd. Wir sind überzeugt, dass wir die aufgezeigten Probleme letztlich nur lösen werden, wenn wir zu einem gemeinsamen Dialog auf Augenhöhe finden.
Anton Pototschnig
Obmann der Plattform Doppelresidenz & “Wir Väter”
Update vom 23.1.2023: lesen Sie hierzu auch unseren ausführlicheren Kommentar “Macht sich der ORF gemein mit…?”
Transkript der Sendung:
Sabina Riedl : Redakteurin
Moderatorin: Susanne Schnabl.
Auch eine andere juristische weniger heikle Frage beschäftigt uns jetzt: die viele Mütter, Väter und vor allem aber auch Kinder trifft. Wer bekommt nach der Scheidung oder Trennung die Obsorge? Eine schwierige Frage, die gesetzlich neu geregelt werden soll. Die Regierung hat eine Reform versprochen, die je nach Standpunkt von heftigen Kontroversen begleitet wird. Denn kaum ein Gesetz, wie das Familienrecht und insbesondere das Kindschaftsrecht, hat so weitreichende alltägliche Folgen. Sabina Riedl über Reformpläne und deren Auswirkungen:
ORF (Stimme aus dem Off):
Vier von 10 Ehen landen vor dem Scheidungsrichter. Bei 15% der Paare gerät das Beziehungsende zum Rosenkrieg. Mit langen, teuren Gerichtsverfahren und erbitterten Kämpfen um die Kinder. Sabine Völkl-Kernstock ist klinische Psychologin. Sie fungiert auch als Gutachterin bei strittigen Scheidungen. Sie versucht vor Gericht Kindern eine Stimme zu geben.
Sabine Völkl-Kernstock. Sachverständige:
Ich sehs oft, dass da die Elternrechte da sehr im Vordergrund sind. Und dass eben Kinder – aber vielleicht weniger von rechtlichter Seite – sondern sie gehen manchmal unter, obwohl es so viele gute Methoden schon gibt sie zu stützen in einem Gerichtsverfahren, wie den Kinderbeistand. Aber Kinder sind oft wirklich die großen Leidtragenden.
ORF (Stimme aus dem Off):
Das betrifft häufig die Wohnsituation. Wohnt das Kind nach der Trennung bei der Mama oder beim Papa? Eine scheinbar salomonische Lösung hat im Zuge der Gesetzesreform heftige Kontroversen ausgelöst. Das Doppelresidenzmodell (DRM) sehe vor, dass das Kind zwischen zwei Haushalten pendelt, damit Vater und Mutter das Kind gleich oft sehen. Aber ist das auch im Sinne der Kinder (Anmerkung Wir Väter: Stimme geht zum Schluss nach oben). Das fragen wir die Psychologin.
Sabine Völkl-Kernstock. Sachverständige:
Manchmal ja, manchmal nein. Wenn Eltern ein gutes Miteinander haben, dann kann das gut funktionieren. Wenn eine hohe Strittigkeit da ist oder wenn den Kindern durch die nonverbale Haltung – eine ablehnende Haltung der Eltern zueinander, doch einiges in den Weg gelegt wird, dann wirds schwierig.
ORF (Stimme aus dem Off):
Die renommierte Scheidungsanwältin und Kämpferin für die Frauen vor Gericht Helene Klaar war von Anfang an gegen die Doppelresidenz, weil sie die Frauen benachteilige.
Helene Klaar:
„Wenn das Kind schon dadurch betroffen wird, dass sich die Eltern trennen, dann soll es nicht auch noch Wohnung wechseln, woanders schlafen, ähm mit dem Vater und seiner neuen Freundin gemeinsam in einem Bett schlafen und in einer Badewanne baden, weil das haben die Kinder so überhaupt nicht so gern wie die dazugehörigen Väter. Und es sollte auch die Mutter vielleicht nicht von heute auf gleich doppelt so viel arbeiten, überfordert gereizt und übellaunig sein. Also das das Wohl der Kinder auch ein bissl mit dem Wohlbefinden ihrer Mütter zusammenhängt, diese Erkenntnis vermisse eigentlich in unserer Justiz seit ich den Beruf ausübe.“
ORF (Stimme aus dem Off):
Die Forderung nach der Doppelresidenz ist ein zentrales Anliegen von Väterrechtlern, wie Anton Pototschnig. Selbst durch eine strittige Scheidung gegangen, hat er jahrelang um das Besuchsrecht für eines seiner Kinder gestritten.
Anton Pototschnig:
„Ich glaub, dass es gut ist, und dass es notwendig ist, dass die Eltern in der Beziehungskontinuität ihren Kindern gegenüber bleiben. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass die Kinder nach der Trennung möglichst beide Elternteile gleichermaßen oder annähernd gleichermaßen in ihrem Leben behalten können sollen.“
ORF (Stimme aus dem Off):
Eine Nachfrage im Justizministerium ergibt, die automatische Doppelresidenz – so die Ressortsprecherin – sei derzeit nicht mehr im Entwurf enthalten.
Sabine Bründler, Sprecherin des BMJ:
Für die Doppelresidenz gibts keinerlei Verpflichtung. Es ist sehr wichtig für ein modernes Frauen- und Familienbild, den Eltern eine Vielzahl von Möglichkeiten einzuräumen, wie sie die Betreuung gestalten können. Doppelresidenz heißt ja auch, dass die Hälfte der Zeit von beiden Elternteilen übernommen wird. Das ist für viele Familien gar nicht möglich.
ORF (Stimme aus dem Off):
Ein weiterer Zankapfel im Entwurf war zuletzt die automatische Reduktion der Unterhaltszahlungen. Gewissermaßen eine Folge der Doppelresidenz. Der Unterhalt neu hätte vorgesehen, dass Väter ab einer Betreuungsleistung von mehr als einem Drittel automatisch weniger Unterhalt zahlen müssen und das obwohl der durchschnittliche Unterhalt nur 300€ ausmacht. Davon würden überwiegend Besserverdiener, also Väter profitieren, so Andrea Czak, vom Verein der feministischen Alleinerzieherinnen.
Andrea Czak:
Mütter bleiben nach der Geburt durchschnittlich 2 Jahre zu Hause, verlieren dadurch sehr viel Einkommen, gehen dann in Teilzeit arbeiten und haben dadurch sehr viel Einkommenseinbußen. Die Väter machen das nicht, sie wählen die kürzeste Variante des Kinderbetreuungsgeldes, nämlich nur ein bis zwei Monate und haben dadurch kaum Einkommenseinbußen. Man kann jetzt nicht nach der Trennung so tun, als ob die Gleichheit der Geschlechter schon erreicht wäre, auch in den Einkommen.
ORF (Stimme aus dem Off):
Die Väterrechtler sehen das naturgemäß anders, mehr Betreuungsleistung müsste automatisch weniger Unterhalt bedeuten.
Anton Pototschnig:
Insofern ist es so, dass die monetäre Unterhaltsleistung geringer werden muss auch, weil i denk ma, es ist nicht fair, von Vätern immer gleich viel abzuverlangen.
ORF (Stimme aus dem Off):
Obwohl die automatische Reduktion des Unterhalts noch nicht mal im Gesetz steht, ist Helene Klaar schon jetzt in der beruflichen Praxis damit konfrontiert.
Helene Klaar:
Es ist unglaublich, wie das von den Leuten jetzt schon wahrgenommen wird. Ich hab also mittlerweile sicher drei Mal in der Woche eine neue Klientin, die da bei mir sitzt und sagt: Wir wollen uns scheiden lassen, auseinander gelebt, oder er hat eine Freundin, oder ich mag ihn nicht mehr, wie auch immer. Und dann kommt immer, aber was ich nicht will, ist eine Doppelresidenz, weil, mein Mann hat gesagt, mein Mann hat sich erkuuuundigt, und dann hat er gesagt, er will eine Doppelresidenz, weil dann muss er nichts zahlen.
Sabine Bründler:
Im jetzigen Entwurf ist der Kindesunterhalt das erste Mal so geregelt, dass sich unterhaltspflichtige Eltern auch durch ein Mehr an Betreuung den Kindesunterhalt nicht umgehen können.
Sabina Riedl:
Das heißt, die Väter müssen in vollem Umfang weiterzahlen.
Sabine Bründler:
Wir reden von einem Arbeitsentwurf – das ist vielleicht wichtig zu sagen. Der Arbeitsentwurf befindet sich momentan auf Ebene der Fachabteilung. Und was man mit Sicherheit auch sagen kann, ist, dass die Diskussion noch nicht vorbei ist.
ORF (Stimme aus dem Off):
Eine Problemzone im Gesetz ist der Gewaltschutz. Bisher war es nicht leicht, einen gewalttätigen Partner von der Familie fernzuhalten, erzählt die Scheidungsanwältin (Helene Klaar) aus ihrer reichhaltigen Gerichtserfahrung.
Helene Klaar:
Ich hab einen Fall gehabt, da hat ein Kind dem Mann, der die Mutter geprügelt hat, in seiner Verzweiflung einen Eimer über den Kopf gestülpt, damit er nix mehr sieht und aufhört die Mutter zu hauen. Und da war eine lebensnahe Richterin, die selber Kinder hat und die hat ihm daraufhin das Besuchsrecht entzogen. Der wurde dieser Beschluss aufgehoben, mit der Begründung, dass sie ein Gutachten hätte einholen müssen, weil, es wäre ja möglich, dass sich dieses Kind heimlich nach dem Vater sehnt.
ORF (Stimme aus dem Off):
Ein teures Gutachten und einen teuren zweiten Gerichtsgang später, wurde dem Vater schließlich das Besuchsrecht entzogen. Solche Schlupflöcher im Gesetz soll es für Gewalttäter künftig nicht mehr geben, so das Justizministerium.
Sabine Bründler BMJ:
Kein Kind soll mehr gezwungen werden, Kontakt zu einem gewalttätigen Elternteil zu haben. Der aktuelle Entwurf stärkt demnach die Kinderrechte.
ORF (Stimme aus dem Off):
Wie immer das Gesetz letztlich aussehen wird, es bleibt – wie bei strittigen Scheidungen – reichlich Zündstoff, bis es in Kraft tritt.