Die Presse Gastkommentar – Muttertag neu gedacht: Warum wir einen Elterntag brauchen
Vollversion des Die Presse-Gastkommentars von Wir-Väter-Obmann Anton Potoschnig zum Muttertag:
Muttertag neu gedacht: Warum wir einen Elterntag brauchen
Es wäre begrüßenswert, wenn Väter nicht alle Last den Müttern überlassen würden – und Mütter umgekehrt, mehr loslassen würden. Eine gleichberechtigte Elternschaft könnte man dann ein Mal pro Jahr am „Elterntag“ miteinander feiern.
Am Sonntag gilt die ganze Aufmerksamkeit wieder den Müttern. Ein Ritual, einmal im Jahr. Die ganze Familie kommt. Blumenhändler freuen sich über gesteigerte Umsätze. Gedichte werden aufgesagt. Geschichten erzählt. Ohne „Alles Gute zum Muttertag“ geht der Tag nicht an einem vorbei – nicht ohne schlechtes Gewissen. Mütter zieren die Titelblätter von Tageszeitungen – je boulevardesker, umso verklärter. Und um der Verklärung noch eine kleine Steigerung zu geben, darf natürlich der Hinweis auf Gender-Pay-Gap, Karriereknick, Doppelbelastung und unbezahlte Arbeit nicht fehlen. Sie sind trotzdem für uns da, die Mütter, aufopfernd und selbstlos.
Wenn aber Energie der Aufmerksamkeit folgt, soll dieser jährliche Akt der „Mystifizierung“ wirklich so weitergeführt werden? Wäre es nicht an der Zeit, den „Muttertag“ zu hinterfragen, ihn eventuell durch einen „Elterntag“ zu ersetzen – und die Energie in eine egalitäre Richtung zu lenken? (Und das „Feigenblatt“ Vatertag streichen wir einfach.)
„Wenn Männer aufhören, sich dagegen zu wehren, wenn sie gleich viel Mental Load übernehmen, wenn Frauen gleich viel verdienen und Männer gleich viel Zeit für die Familie aufwenden. Dann. Ja, dann. Aber nicht vorher.“ So oder so ähnlich wäre wohl der Einwand dagegen. Fazit: „Männer, tut endlich was, kommt in die Gänge, überlasst nicht den Frauen alle Last!“ Sagen wir vereinfacht, das ist die eine Seite der Medaille.
Männer sind gleichermaßen in der Lage, sich um Kinder zu kümmern
Erlauben wir uns kurz am Muttertag, einen wissenschaftlichen Blick auf das Vater-Sein zu werfen. Ab dem 6. Schwangerschaftsmonat erkennen Babys die Stimme von Mutter und Vater. Massiert der Vater den Bauch der Mutter, reagiert das Kind darauf mit einem höheren Herzschlag und hält seine Hand länger von innen an den Bauch der Mutter. Auch bei Männern steigt vor der Geburt das Hormon Prolaktin, der Testosteronspiegel sinkt im Zuge der Geburt um ein Drittel und steigt auch nicht mehr auf das ursprüngliche Niveau. Sechs Monate nach der Geburt ist das Bindungshormon Oxytocin ähnlich hoch wie bei den Müttern. Je mehr sich der Vater um das Baby kümmert, umso mehr nähert sich das väterliche Aktivierungsmuster im Gehirn dem der Mutter an. Beschäftigen sich Väter mit Babys schon in den ersten Monaten, zeigt sich bereits ein bis zwei Jahre später, dass Kinder kognitiv besser entwickelt sind. Beim spielerischen Raufen lernen Kinder ihre Gefühle besser zu regulieren. Wenn sie zu fest hinhauen, bekommen sie entsprechend Rückmeldung, dass das weh tut. Ihre Empathie entwickelt sich stärker. Hatten pubertierende Jugendliche einen guten Kontakt zu ihren Vätern, können sie später Konflikte besser regulieren.
Fazit: Aus biologischer Sicht sind Männer nach der Geburt, mit Ausnahme des Stillens, gleichermaßen in der Lage, sich liebevoll um Kinder zu kümmern.Man könnte sagen: „Ja verdammt nochmal, warum tun sie´s dann nicht endlich?“
Ziehen wir kurz noch einmal die Wissenschaft zu Rate. In Österreich sind zwei Drittel der Frauen mit einem Kind unter drei Jahren nicht berufstätig. 82% der Mütter mit Kindern unter sechs Jahren arbeiten in Teilzeitjobs. Fehlende oder teure Kinderbetreuungseinrichtungen sind laut einer Studie des Österreichischen Instituts für Familienforschung selten der Grund, nicht wieder arbeiten zu gehen. Das wichtigste Motiv? Acht von zehn Frauen wollen ihre Kinder schlicht und einfach selbst betreuen. Selbst Mütter von Kindern unter 15 würden zu 90% auch dann nicht in Vollzeit wechseln, wenn es ein entsprechendes Betreuungsangebot gäbe. 77% der Frauen wünschen sich einen beruflich kompetenten Mann, der die Familie gut ernährt. (BMFSFJ 2014). Viele Frauen sehen die Kinderbetreuung als ihr „Revier“ und wachen über die Beteiligung des Vaters, den sie oft nur als Mithelfer akzeptieren (DJI). Sagen wir vereinfacht, das ist die andere Seite der Medaille.
Man könnte sagen: „Lasst´s endlich los, dann haben auch die Väter Platz.“
Studien weisen aber auch auf gesellschaftlich tradierte Rollenmuster hin, innerhalb derer obige Haltungen gedeihen. Das heißt, würden sich die Rahmenbedingungen ändern, würden breitgetretene Pfade eventuell auch verlassen werden. Alte Wege werden aber nur verlassen, wenn Neue Sicherheit versprechen.
Die Frage lautet: Wie wollen wir leben?
Viele ungelöste Problemstellungen. Verhandelt werden muss nicht weniger als die Frage: „Wie wollen wir leben?“ Viel Zeit mit dem Kind inklusive Teilzeitarbeit und Gefahr von Abhängigkeit und Armutsgefährdung – oder maximale Fremdbetreuung der Kinder für berufliche Karriere und finanzieller Unabhängigkeit. Und wie holen wir die Männer herein? Tradition oder Moderne? Ein bisschen von Allem? Ein Dilemma. Die Beantwortung dieser Frage unter Einbeziehung aller Aspekte aus Frauen- und Männerperspektive bedarf eines breiten Diskurses.
Eine Gelegenheit dazu wäre die anstehende Reform des Kindschaftsrechts, welche gerade von der Regierung vorbereitet wird und die kaum einen diskursiven Widerhall in der Öffentlichkeit erfährt. Wie wir oben gesehen haben, sind beide Geschlechter in der Lage, sich gleichermaßen um ihr Kind zu kümmern. Die Verantwortung der ungleichen Verteilung liegt im Verhalten beider verwurzelt. Dem hat der ursprüngliche Entwurf Rechnung getragen. Mütter und Väter sollten ab Geburt des Kindes mit den gleichen Rechten betraut und die Chance einer gleichteiligen Verantwortung nach einer Trennung verankert werden. Frauenorganisationen legten massiven Protest dagegen ein, schön entlang eines dichotomischen Geschlechterbildes – hier die “Opfer-Mütter”, dort die “Täter-Väter”. Sie bewirken damit paradoxerweise ein Abgehen vom Prinzip der Gleichberechtigung. Das Ziel, Frauen letztlich die Oberhand zu sichern, wenn es ums Kind geht. Womit wir wieder beim Muttertag und der Frage wären: Ist ein Muttertag inklusive Mystifizierung der Mutterrolle im Gender Zeitalter noch zeitgemäß?
Anton Pototschnig ist Dipl. Sozialarbeiter / Familiencoach und Obmann von wir-vaeter.at und doppelresidenz.at